Washington. Am Montag startet im US-Bundesstaat Iowa, was im Sommer endet: Die US-Amerikaner entscheiden über ihre Präsidentschaftskandidaten.

Die Zeit der Vorgeplänkel mit energischem Spendeneintreiben, rauflustigen Fernsehdebatten und Dauer-Händeschütteln neigt sich dem Ende entgegen. Am kommenden Montag, dem 1. Februar, steht im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf die erste Kraftprobe an den Wahlurnen an. Traditionell hat der Agrar-Bundesstaat Iowa das Privileg, die Bewerber bei Republikanern und Demokraten als erster zu beschnuppern und die Kandidatenspreu vom Weizen zu trennen.

In basisdemokratischen Versammlungen in Bauernhöfen, Schulen, Turnhallen, Feuerwachen oder größeren Wohnzimmern – „caucuses“ genannt – werden die ersten von landesweit insgesamt 6400 Delegierten bestimmt. Sie sind es, die bei den Krönungsparteitagen im Juli in Cleveland (Republikaner) und Philadelphia (Demokraten) jene zwei Kandidaten offiziell auf den Schild heben, die bei der Präsidentschaftswahl am 8. November antreten werden. Bevor der Nachfolger (oder die Nachfolgerin) von Barack Obama am 20. Januar nächsten Jahres auf den Treppen vor dem Kapitol in Washington den Amtseid ablegen wird, hier ein kurze Gebrauchsanweisung für den Vorwahl-Marathon, der ab sofort das politische Leben Amerikas dominieren wird.

Sorry, aber warum eigentlich Iowa?

Alte Gewohnheiten sind zäh. 1972 war der von entschieden mehr Maiskolben als Menschen bevölkerte Staat zufällig die Nr.1 im Wahlreigen der Demokraten. Die Tradition hat sich später bei beiden Parteien verfestigt. Obwohl Iowa, weil zu 94 % weiß, zu wohlhabend und viel zu religiös (Evangelikale), demografisch kein bisschen repräsentativ ist, wird dort das Erstgeburtsrecht mit allen Mitteln verteidigt. Von etwa drei Millionen Einwohnern sind rund eine Million stimmberechtigt. Erwartet wird, dass bei Republikanern und Demokraten am „caucus“-Tag jeweils 100.000 bis 200.000 Sympathisanten in einer Art Urwahl nach ausgiebiger Diskussion über ihre Delegierten entscheiden. Und damit auch über den von ihnen favorisierten Kandidaten für das Weiße Haus.

Ist der „caucus“ die einzige Auswahl-Methode?

Nein. Die meisten Bundesstaaten führen die sogenannte „primary election“ (Vorwahl) durch. Das ist eine konventionelle geheime Wahl mit Wahlzettel, wobei aber ebenfalls in indirekter Wahl Delegierte für den Parteitag bestimmt werden. Dabei dürfen nicht nur Parteimitglieder mitstimmen. Sondern auch deren Wähler, sofern sie sich amtlich registrieren lassen. In einigen Bundesstaaten, zum Beispiel New Hampshire, wo am 9. Februar die erste „primary“ stattfindet, sind sogar Unabhängige zugelassen.

Wer steht zur Auswahl – und mit welchen Chancen?

Bei den Demokraten (Parteifarbe: Blau, Symbol: der Esel) steht ein übersichtlicher Zweikampf an. Weil der Dritte im Bunde, Martin O‘Malley, Ex-Gouverneur von Maryland, nur Zählkandidat ist. Hillary Clinton (68), einst First Lady an der Seite von Ehemann Bill und bis 2013 unter Obama Außenministerin, ist die klare Favoritin des Partei-Establishments. Sie will das Erbe des ersten Afro-Amerikaners im Weißen Haus bewahren und fortentwickeln, besonders dessen epochale Gesundheitsreform. Clinton lag über Monate in allen wichtigen Umfragen um Längen vorn und war entsprechend gelassen.

Seit ihr Rivale, Senator Bernie Sanders aus Vermont, enorm aufgeholt hat, ist die seit Jahrzehnten zum politischen Inventar gehörende Anwältin nervös. Sie fürchtet ein Déjà-vu. 2008 jagte ihr der bis dahin unbekannte Barack Obama Iowa ab – der Rest ist schmerzliche Geschichte. Sanders (74) begeistert mit einem sozialdemokratisch angehauchten Programm (Umverteilung des Reichtums durch höhere Steuern für Millionäre, Mindestlohn von 15 Dollar die Stunde, strikte Regularien für die Finanzindustrie, kostenlose öffentliche Universitäten etc.) vor allem junge Wählerschichten.

Clinton hat mehr in der Wahlkampfkasse, Sanders mehr Volksnähe und Überzeugungstäter-Furor. Es wird spannend.

Und bei den Republikanern?

Auf dem Papier sind bei der „Grand Old Party“ (Parteifarbe: Rot, Symbol: der Elefant) immer noch zwölf Kandidaten im Rennen. Von denen werden der Ex-Gouverneur von Arkansas, Mike Huckabee, Kentucky-Senator Rand Paul, Ex-Hewlett Packard-Chefin Carly Fiorina, Ohios Gouverneur John Kasich, Virginias Ex-Gouverneur Jim Gilmore und Pennsylvanias Ex-Senator Rick Santorum nur noch pflichthalber erwähnt. Sie sind de facto chancenlos.

Das gilt aus heutiger Umfragensicht auch für Floridas Ex-Gouverneur Jeb Bush, Neuro-Chirurg Ben Carson und New Jerseys Gouverneur Chris Christie. Dagegen hat der New Yorker Bau-Milliardär Donald Trump die mit weitem Abstand besten Aussichten, gefolgt von Texas-Senator Ted Cruz und Florida-Senator Marco Rubio.

Trump hat mit seiner kompromisslosen Anti-Washington-Rhetorik Millionen frustrierte Anhänger quer durch alle Schichten und Glaubensschulen begeistert. Cruz punktet bei den evangelikalen Fundamentalisten. Rubio versucht sich als gemäßigte, frische Alternative zu verkaufen. Wer kann die Gunst der Umfragen in Stimmzettel umwandeln?

Wann ist ein Kandidat am Ziel?

Wenn er die Hälfte der Delegierten auf sich vereinigt hat. Bei den Demokraten sind das rund 2000, bei den Republikanern etwa 1200. Die Zahl der Wahlmänner und -frauen, die alle 50 Bundesstaaten, die Hauptstadt Washington und US-Übersee-Territorien wie Guam, Puerto Rico oder Virgin Islands zu den „conventions“ im Sommer entsenden, hängt von der Bevölkerungszahl ab. Danach wird es kompliziert.

In manchen Staaten erfolgt die Delegiertenauswahl nach dem Verhältniswahlrecht (50 Prozent der Stimmen = 50 Prozent der Wahlmänner). In anderen erhält der Kandidat mit den meisten Stimmen („winner takes it all“) sämtliche Delegierten. Und dann gibt es noch die mit Sonder-Stimmrecht ausgestatteten Super-Delegierten (aktive Amtsträger wie Gouverneure und Senatoren). Darüber mehr im Sommer.

Auf welche Stationen im Vorwahl-Rennen sollte man besonders achten?

Bei den Republikanern ist nach Iowa (1.2.), New Hampshire (9.2.), South Carolina (20.2.) und Nevada (23.2.) eine erste Standortbestimmung möglich. Bei den Demokraten verschiebt sich das Ganze bis zum 27. Februar.

Wer am Anfang die „primary“ gewinnt oder unter den ersten Drei landet, darf erfahrungsgemäß auf einen Domino-Effekt hoffen. Obwohl nur ein Bruchteil der Delegierten-Stimmen vergeben wird, liefern frühe Siege die zentralen Treibstoffe: Medieninteresse, Spendenfluss und Gewinner-Aura; kurz „Momentum“. Umgekehrt gilt: Wer leer ausgeht oder unter ferner liefen endet, kann schon fast einpacken.

Danach gilt der „Super Tuesday“ am 1. März als erste Wegscheide. Nachdem auf einen Schlag 14 Bundesstaaten (plus das Insel-Territorium Samoa) gewählt und ein Drittel der Delegierten bestimmt haben, lichtet sich das Teilnehmerfeld voraussichtlich erheblich. Am 15. März sind die wichtigen Staaten Ohio, Florida und Illinois an der Reihe, dann wird das Bild noch klarer. Am 7. Juni, wenn mit Kalifornien der bevölkerungsreichste Bundesstaat gewählt hat, steht der Sieger meist fest.

Was ist bei dieser Wahl anders?

Sollte der extreme Rechtspopulist Donald Trump mathematisch die Voraussetzungen für eine Nominierung erfüllen, heißt das nicht, dass er im Juli in Cleveland auf dem Parteitag auch bestätigt wird. Quer durch die etablierten Ränge der republikanischen Partei regt sich massive Sorge vor diesem Szenario. Weil Trump so viele Wähler-Gruppen vor den Kopf gestoßen hat (Frauen, Latinos, Abtreibungsbefürworter, Gegner von Kriegseinsätzen etc.) will sich kaum jemand hinter ihm versammeln. Trumps Nominierung sei ein „Freifahrtschein“ für Hillary Clinton ins Weiße Haus, heißt es bei den Republikanern. Ähnliches sagt man über den Demagogen Ted Cruz, den seine eigenen Parteikollegen im Senat so gern haben wie Zahnschmerzen.

Darum geht das Gerücht, dass im Falle eines Falles eine Last-Minute-Alternative aus dem Hut gezaubert werden könnte, um den Wahlparteitag im Juli zu sprengen und Trump oder Cruz zu verhindern. Die Namen Mitt Romney (2012 Obama unterlegen) und Paul Ryan (Sprecher des Repräsentantenhauses geworden) werden hier am häufigsten gehandelt.

Bei den Demokraten werden solche Gedankenspiele nur beiläufig für den Fall diskutiert, dass Hillary Clinton am Ende Bernie Sanders unterliegen sollte. New Yorks ehemaliger Bürgermeister Michael Bloomberg erwägt in einer Konstellation Trump/Sanders eine eigene Kandidatur als Parteiloser. Im März will sich der Finanzindustrie-Milliardär erklären. Dann, wenn über Iowa, den flüchtigen Lichtpunkt auf dem Vorwahlradarschirm Amerikas, längst niemand mehr spricht.