Berlin. Polens neue Regierung macht ernst: Sie baut den Staat im Eil-Tempo um. EVP-Politiker Manfred Weber sieht europäische Werte bedroht.

Polens neue nationalkonservative Regierung macht ernst: Sie baut den Staat mit atemberaubendem Tempo um, was in der EU scharfe Kritik auslöst. Nach der Entmachtung des Verfassungsgerichts will die Regierung nun den Staatsdienst umkrempeln. Ein am Donnerstag im Senat verabschiedetes Gesetz sieht vor, dass das komplette öffentliche Führungspersonal gegen Gefolgsleute ausgetauscht werden kann. Höherrangige Verwaltungsposten werden nicht mehr öffentlich ausgeschrieben, sondern per Ernennung besetzt.

Die Opposition warnte vor einer bevorstehenden „politischen Säuberung in der Verwaltung“. Bis zu 1600 Beamte seien davon betroffen. Die rechtspopulistische, in Teilen offen nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verteidigte den Schritt als Kampf gegen „pathologische“ Erscheinungen. „Wenn ein Abteilungsleiter mehr verdient als die Ministerpräsidentin oder der Präsident, dann ist das eine komische Situation“, sagte die Kanzleichefin von Ministerpräsidentin Beata Szydlo, Beata Kempa.

Seit die PiS im November die Regierungsgeschäfte in Warschau übernommen hat, hat sich die Lage im Land drastisch verschärft. Die Partei um Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski verfügt in beiden Parlamentskammern über die absolute Mehrheit. Künftig sollen nach dem Willen der PiS auch die Medien verstärkt an die Kandare genommen werden. Nach dem Sejm, dem Unterhaus, billigte am Donnerstag der Senat die Vorlage zum Gesetz. Demnach werden die öffentlich-rechtlichen Medien in sogenannte nationale Kulturinstitute umgewandelt. Das Mandat der bisherigen Intendanten läuft mit sofortiger Wirkung aus. Statt wie bisher der Rundfunkrat entscheidet künftig der Minister für das Staatsvermögen über die Neubesetzung der Vorstands- und Aufsichtsgremien.

Viele Polen haben das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein

Brüssel zeigte sich alarmiert. Die Reform könnte in einigen Punkten gegen europäisches Recht verstoßen, betonte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans. Auch aus dem EU-Parlament kommt Widerstand. „Die Entscheidungen von PiS, die Rechte des Verfassungsgerichts einzuschränken oder in die Unabhängigkeit der Medien einzugreifen, machen sorgenvoll“, sagte der CSU-Politiker Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion in europäischen Parlament, der Morgenpost. Damit würden von der polnischen Regierung „zentrale europäische Prinzipien und Werte“ zur Debatte gestellt. „Wir haben großes Vertrauen in die polnische Bürgerschaft und Zivilgesellschaft, mit der Situation umzugehen“, so Weber. Die Europäischen Institutionen würden die Handlungen der Regierung genau beobachten.

Vor Weihnachten waren in Warschau Zehntausende auf die Straße gegangen, um gegen die „Demontage der Demokratie“ und eine „Turbo-Orbanisierung“ im Land zu demonstrieren. Der Begriff der Orbanisierung bringt möglicherweise am ehesten auf den Punkt, was sich in Polen in diesen Wochen ereignet. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hatte nach seiner Wahl 2010 erst das Verfassungsgericht entmachtet und anschließend die Verfassung geändert.

Der Drahtzieher des neuen Kurses in Polen ist PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. Der Volkswille manifestiere sich im Parlament, erklärte er. „Hier ist Polen!“ Beobachter deuten diese Sätze als Agenda, das Verfassungsgericht, dessen Aufgabe es ist, auch Minderheitenrechte zu verteidigen, unter Hinweis auf einen Mehrheitswillen vollständig zu entmachten – ganz im Stile Orbans.

Der ideologische Kern des Systemumbaus in Polen ist eine Renationalisierung, wie sie in Europa vielerorts zu beobachten ist – vom EU-skeptischen Dänemark über das mit dem Brexit liebäugelnde Großbritannien bis hin zum französischen Front National und den Separatisten in Katalonien. Im Osten des Kontinents hat spätestens die Flüchtlingskrise ans Tageslicht gebracht, welch enorme Breitenwirkung der Nationalismus dort hat.

Zuletzt war es sogar EU-Ratspräsident Donald Tusk, der von 2007 bis 2014 als bürgerlicher Premierminister in Polen regiert hatte, der öffentlich mahnte: „Diese Flüchtlingswelle ist zu groß. Wir müssen sie stoppen.“ Nicht nur die deutsche EU-Parlamentarierin Barbara Lochbihler reagierte. Es sei „eine Ungeheuerlichkeit“, dass sich der als liberal geltende Ratspräsident ungeniert zum Fürsprecher der nationalistischen Stimmung im Osten mache, unterstrich die Grünen-Politikerin.

Allerdings zeigt die Entwicklung im Wirtschaftswunderland Polen, wie schnell aus einer aggressiven Minderheit eine politische Mehrheit werden kann. Noch im Frühjahr schien die ökonomisch erfolgreiche Regierung der Tusk-Partei PO in Warschau fest im Sattel zu sitzen. Doch dann schlug die Stimmung um.

Experten wie der Stettiner Soziologe Waldemar Urbanik erklären dies vor allem mit dem diffusen Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. „Die Polen haben angefangen, Vergleiche anzustellen“, erläutert Urbanik. „Mehr als zehn Jahre nach dem EU-Beitritt verdienen sie im Durchschnitt noch immer nur ein Viertel dessen, was die Menschen in Westeuropa bekommen.“ Neid und Wut mischten sich mit einem „modischen Patriotismus“.