Athen . Die Lage in der Ägäis bleibt dramatisch: Erneut sterben am Sonntag elf Flüchtlinge bei einem Bootsunglück. Sechs davon waren Kinder.

Trotz steigender Opferzahlen in der Ägäis hat die griechische Regierung den Vorschlag abgelehnt, die Landgrenze zur Türkei für Flüchtlinge zu öffnen. Das sei „in dieser Phase aus technischen Gründen nicht möglich“, sagte der für Migration zuständige Vize-Minister Ioannis Mouzalas der Athener Zeitung „To Vima“ am Sonntag.

Politiker und Bürgergruppen hatten die Regierung zur Öffnung der Grenze aufgerufen, damit weniger Flüchtlinge in der Ägäis ertrinken. Dort kamen seit Freitag rund 60 Migranten ums Leben, unter ihnen 31 Kinder.

Weil parallel der Andrang über die Balkanroute nicht nachlässt, macht Österreich Druck auf andere EU-Staaten. „Ich wünsche mir definitiv, dass wir in Europa, vor allem auch Deutschland, die Dinge endlich beim Namen nennen und klipp und klar sagen: Es braucht ein Ende der Einladungspolitik“, sagte Österreichs Außenminister Sebastion Kurz der in Wien erscheinenden „Kleinen Zeitung““ (Sonntag). „Wir sind überfordert, es kommen einfach zu viele Menschen.“

Tsipras will wegen Flüchtlingsfrage in Türkei reisen

Griechenlands linker Regierungschef Alexis Tsipras wolle nun alle Behörden, Organisationen und die Kirche des Landes mobilisieren, damit den Flüchtlingen geholfen werde, berichteten griechische Zeitungen am Wochenende. Tsipras wolle in die Türkei reisen, um das gemeinsame Vorgehen zu koordinieren. Am Mittwoch wird auch der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, in Griechenland erwartet. Aus Regierungskreisen hieß es, er wolle sich ein Bild machen von der Lage auf der Insel Lesbos.

Deren Bürgermeister Spyros Galinos sorgte am Samstag mit der Idee für Aufsehen, Flüchtlinge künftig mit Fähren direkt und sicher aus der Türkei nach Griechenland zu bringen – um zu vermeiden, dass sie die gefährliche Überfahrt mit morschen Kähnen oder Schlauchbooten wagen. „Wir müssen dieses Verbrechen beenden“, sagte Galinos der Zeitung „Kathimerini“. Die Leichenhallen auf Lesbos seien voll mit Opfern.

Auch die Regionalgouverneurin der Inseln der Nordägäis rief Tsipras’ Regierung dazu auf, die Öffnung der Landesgrenze zur Türkei zu erwägen. Jugendorganisationen und Bürgerinitiativen forderten, den Grenzabschnitt entlang des Flusses Evros (türkisch: Meriç) zu öffnen.

Sicherheitsexperten erwarten bei Grenzöffnung mehr Flüchtlinge

Sicherheitsexperten in Athen gehen davon aus, dass eine Öffnung der rund 200 Kilometer langen Landesgrenze zur Türkei zu einem noch stärkeren Flüchtlingsandrang in Richtung Westeuropa über die Balkanroute führen dürfte. „Und das will ja keine Regierung in Westeuropa“, sagte ein Offizier der griechischen Küstenwache der dpa.

Die Lage in der Ägäis bleibt derweil dramatisch: Bei einem Bootsunglück vor der griechischen Insel Samos kamen am Sonntag insgesamt elf Flüchtlinge ums Leben, unter ihnen sechs Kinder, wie das griechische Staatsfernsehen berichtete. Zwei Migranten ertranken bei einem anderen Unglück vor der kleinen Insel Farmakonisi.

Während der ersten zehn Monate dieses Jahres sind laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bereits über 3300 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken, mehr als im gesamten Vorjahr (3279 Tote). Demnach erreichten 724.228 Menschen Europa über das Mittelmeer.

Auch auf der sogenannten Balkanroute bleibt der Flüchtlingsandrang ungebremst. In Kroatien kamen nach Angaben des Innenministeriums am Sonntag wieder Tausende Menschen an. Seit der Grenzschließung Ungarns Mitte September seien knapp 300.000 Migranten in Richtung Norden weitertransportiert worden. Die slowenischen Behörden berichteten von rund 8000 Neuankömmlingen allein am Samstag.

Auch in Österreich warteten am Sonntag wieder mehrere Tausend Flüchtlinge auf den Weitertransport Richtung Deutschland. An der Sammelstelle in Spielfeld an der Grenze zu Slowenien zählten die Behörden etwa 2300 Menschen. Busse und Züge sollten sie zunächst nach Linz und Wels in Oberösterreich bringen. Im Laufe des Tages wurde darüber hinaus mit Tausenden zusätzlichen Migranten gerechnet. (dpa)