Damaskus /Hamburg. Schulsystem des Landes galt bis zum Beginn des Bürgerkrieges als vorbildlich. Syrien ist das Bildungs-Vorzeigeland der arabischen Welt.

Mehr als vier Millionen Syrer sind vor den erbarmungslosen Bürgerkriegsgemetzeln in ihrem Land ins Ausland geflohen, während in Syrien selber vermutlich fast acht Millionen weitere Menschen auf der Flucht sind – bei einer Einwohnerzahl von nur gut 21 Millionen. Es ist die größte Flüchtlingsbewegung eines Einzelkonfliktes seit Jahrzehnten.

Seit Ausbruch des Bürgerkrieges im März 2011 bis zum Juli dieses Jahres kamen mehr als 120.000 Syrer nach Deutschland; im August kamen rund 50.000 weitere dazu. Insgesamt dürften sich derzeit mehr als 200.000 Syrer in Deutschland aufhalten.

Zehntausende von ihnen wollen hier bleiben; sie haben die Hoffnung auf eine Besserung der desolaten und höchst lebensbedrohlichen Lage in Syrien in absehbarer Zeit aufgegeben. Die Frage, wie erfolgreich sich diese entwurzelten Menschen in unsere Gesellschaft integrieren werden, hängt eng mit ihrem Bildungsgrad zusammen.

Und der ist bei vielen Syrern – noch – recht gut: Syrien galt bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges als Bildungs-Vorzeigeland der arabischen Welt. Die regierende Staatspartei Baath des diktatorisch herrschenden Präsidenten Baschar al-Assad sorgte für eine vergleichsweise säkulare Kulturpolitik. Es besteht Schulpflicht für alle Kinder zwischen sechs und 15 Jahren. Die tatsächliche Einschulungsrate lag vor dem Krieg bei Mädchen mit 98 Prozent nur hauchdünn unter der der Jungen von 99 Prozent. Mehr als zwei Drittel der Kinder besuchten dann weiterführende Schulen.

Das syrische Bildungssystem in Schulen und Universitäten ist an das alte französische angelehnt – keine große Überraschung, hatte Frankreich doch zwischen 1922 und 1943 ein Völkerbundmandat für Syrien und in diesen Jahren das Land stark geprägt. Die Analphabetenrate junger Syrer liegt bei nur fünf Prozent. Englisch und Französisch sind Pflichtfächer in den Schulen. In Damaskus, Aleppo, Homs und Lattakia gibt es staatliche Universitäten, dazu eine Vielzahl an privaten Hochschulen. Die vier staatlichen Universitäten bieten unter anderem auch Deutschkurse an.

Der in London ausgebildete Augenarzt Baschar al-Assad hat seit seinem Amtsantritt im Jahre 2000 den Anteil der Bildungsausgaben am Staatshaushalt auf mehr als 15 Prozent erhöht. Die First Lady Asma al-Assad, die Universitätsabschlüsse in Computerwissenschaften und französischer Literatur besitzt, ließ keine Gelegenheit aus, die hohe Bedeutung des Bildungswesen in Syrien herauszustellen.

Doch es gibt auch Schattenseiten. Eine Studie des Kinderhilfswerkes Unicef kam vor dem Bürgerkrieg zu dem Ergebnis, dass ungeachtet eines gesetzlichen Verbotes die Prügelstrafe immer noch in syrischen Schulen verbreitet ist. Im September 2010 stellte die unabhängige Internetplattform Alsharq, die von jungen Wissenschaftlern betrieben wird, ein zweieinhalb Minuten langes Video ins Netz, das zeigt, wie zahlreiche syrische Grundschüler von zwei Lehrerinnen mit Rohrstockpeitschen und Lederriemen brutal geschlagen werden.

Es kam zu einer Welle der Empörung im Internet; angeblich wurden die beiden Lehrerinnen daraufhin entlassen. Die Ausbildung angehender Lehrer und Lehrerinnen hinkt in Syrien aber nach Angaben von Kritikern internationalen Standards hinterher.

Der Bürgerkrieg hat indes die Situation der syrischen Schüler dramatisch verändert. Die Lage ist so katastrophal geworden, dass nun befürchtet wird, Syrien könne in Sachen Schulbildung ein gesamte Generation verlieren. Wie syrische Lehrkräfte und Schulleiter der Organisation Human Rights Watch mitteilten, nehmen nicht einmal mehr halb so viele Kinder am Unterricht teil wie vor dem Krieg – und es werden immer weniger. In jenen Gebieten, die von den Fanatikern des „Islamischen Staates“ kontrolliert werden, für die westliche Bildung Teufelswerk darstellt, ist die Teilnahme am Unterricht vor allem der Mädchen sehr stark eingeschränkt. Abertausende Schulen sind bereits in den Kämpfen zerstört oder von den jeweiligen Kombattanten zu Stellungen, Lazaretten oder Flüchtlingslagern umfunktioniert worden.

Auch nehmen sowohl die Regierungstruppen als auch die Rebellen immer wieder Schulen ins Visier, in denen sie Gegner vermuten. Zahllose Kinder sind bei diesen Angriffen bereits ums Leben gekommen. Zudem hat die syrische Regierung, die um ihr Überleben kämpft, überall Spitzel an den Schulen platziert, die Schüler und Lehrer auf ihre Regimetreue aushorchen und ermitteln wollen, ob die Eltern mit den Rebellen sympathisieren. Besteht ein Verdacht, verschwinden Menschen.

Auf diese Weise herrscht eine doppelte Kultur der Angst an den verbleibenden Schulen: Vor den Schergen des Regimes und den Angriffen von Truppen. Die psychische Belastung und Traumatisierung der Schüler wirkt sich massiv auf ihre Lernfähigkeit aus.

Die Kinder fürchten bereits den gefährlichen Schulweg. Nach Angaben der Organisation „Save the Children Schweiz“ ist die Einschulungsrate in der zweitgrößten syrischen Stadt Aleppo auf nur noch sechs Prozent gesunken. Insgesamt weise das einstige Vorzeigeland Syrien mittlerweile eine der schlechtesten Einschulungsraten weltweit auf. Viele der kleinen Schulabbrecher müssen dann arbeiten, um das schmale Einkommen der Familie aufzubessern. Es wird in Bezug auf die Flüchtlinge zu den Hauptaufgaben Deutschlands zählen, syrischen Kindern die verlorenen Bildungschancen zurückzugeben.