Die Griechen wollen keine weiteren Reformen, sondern mehr Jobs, mehr Geld und weniger Rechnungen

Athen. Die griechische Regierung knickte am vergangenen Freitag scheinbar ein: Gegen Vorlage einer Reformliste bis zum heutigen Montag soll Athen die verbleibenden Milliarden aus dem laufenden Rettungspaket erhalten. Mit Reformliste ist nach allgemeiner Auffassung eine Reihe von Maßnahmen gemeint, die geeignet sind, die geltenden Vorgaben des Rettungspakets einzuhalten – also insgesamt zu sparen. Aber verstehen auch die Regierung und ihre Wähler die Vereinbarung so? Aus Regierungskreisen ist bislang vor allem von Steuern für die Reichen und vom Kampf gegen die Korruption zu hören – mit anderen Worten, mehr Geld hereinspielen, nicht weniger ausgeben.

Finanzminister Giannis Varoufakis sagte nach einer Kabinettssitzung in Athen, er sei „vollkommen sicher“, dass die Liste auf Zustimmung treffen werde. Regierungschef Alexis Tsipras führte in einer Fernsehansprache aus, die Vereinbarung erlaube Athen, „die Sparpolitik hinter sich zu lassen“. Damit habe sein Land sein „Hauptziel“ erreicht.

Auch wenn man Syriza-Wähler in Athen fragt, was sie auf der Liste erwarten, bekommt man hoffnungsvolle Antworten, die nicht nach Sparmaßnahmen klingen. „Mehr Jobs für junge Leute unter 25 Jahren“, sagt Zeta, die 24 Jahre alt ist. Sie hat ihr Ingenieurstudium abgeschlossen, sieht aber keine Zukunftsperspektiven für sich. „Ich arbeite als Kellnerin und lebe allein“, sagt sie. Auch die 21-jährige Daphne hat für Syriza gestimmt. Sie studiert Geologie und will später in der Petroleumwirtschaft arbeiten, rechnet sich da auch ganz gute Chancen aus. Ihrer Meinung nach wird der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis auf der Reformliste höhere Gehälter für die Griechen fordern. Nach sechs Jahren dauernder Einkommensverluste sei das auch dringend notwendig. „Niedrigere Rechnungen“, wirft Zeta ein. Das solle ein anderer Reformvorschlag auf der Liste sein. „Wir zahlen viel zu viel Geld für Strom und andere Betriebskosten.“

Auf den Hinweis, die EU-Kommission erwarte wohl eher eine Liste mit Maßnahmen, die dazu geeignet seien, die leeren griechischen Staatskassen nicht weiter zu belasten, fragt Zeta zaghaft: „Was meinen Sie – kann Syriza überhaupt Erfolg haben?“ „Wenn die Griechen das Wort Reform hören, dann verstehen sie etwas ganz anderes als die Menschen im Norden Europas“, sagt Antonis, ein Pharmaka-Händler. Sie würden damit die Vorstellung verbinden, dass der Staat Geld in die Hand nimmt, um es an die Menschen zu verteilen. In Deutschland sei das wohl eher umgekehrt. Insofern hat Tsipras ein doppeltes Problem: Erstens hat er den Wählern das Blaue vom Himmel versprochen, aber liefern können wird er nur Veränderungen, durch die das Land weiter im Regen steht. Und zweitens löst die Wortwahl in Brüssel bei den Griechen falsche Erwartungen aus. Dennoch scheint es, als wären sie vorerst bereit, sich mit weit weniger als den im Wahlkampf versprochenen Wohltaten zufriedenzugeben. „Natürlich kann man nicht alles sofort umsetzen“, sagt Lambros, der als Fahrer für einen Limousinenservice arbeitet. Auch er hat bei den Wahlen für Syriza gestimmt. „Wenn Tsipras von zehn Dingen, die er versprochen hat, auch nur zwei umsetzt, ist es auch schon gut“, erklärt er.

Eine rote Linie nennen alle, die man fragt. Eine Sache, die, wenn Tsipras das wagen sollte, ihn sofort alle Unterstützung im Volk kosten würde. Wenn nämlich die Renten und Gehälter weiter gekürzt werden sollten. „Vergiss es dann“, sagt Lambros. Stelios Kapezos hat eine gemäßigtere Partei gewählt, die kleine To Potami. Aber auch er unterstützt jetzt die Politik der Regierung. Es geht natürlich nicht von heute auf morgen, sagt er. „Man muss Tsipras Zeit geben.“ Das sagen auch die meisten anderen, die man in Athen dazu befragt. Aber wie viel Zeit Schonfrist wird er bekommen? „Sechs Monate“, sagt Zeta, die kellnernde Ingenieurin. Bis dahin will sie Geduld und Hoffnung wahren.

Die Griechen, so scheint es, haben nicht Tsipras, sondern das Prinzip Hoffnung gewählt, und daran wollen sie so lange wie möglich festhalten. Hoffnung, das kostbarste Gut, stirbt bekanntlich zuletzt, und sie ist ansonsten derzeit nirgendwo in Griechenland zu haben. Aber in den Reihen von Syriza selbst könnte die Geduld sehr viel knapper bemessen sein. Die Radikallinken sind ja nur von der Form her eine Partei, intern sieht es noch ganz so aus wie früher: Bis 2012 war man ein Parteienbündnis vorwiegend radikal bis extrem linker Grüppchen. Durch den Popularitätsschub – von drei auf 36 Prozent innerhalb von vier Jahren – kamen zentristische und sogar rechtsnationale Schichten dazu. Jetzt beginnt es im Innern dieser überaus heterogenen Struktur zu rumoren.

Eine Galionsfigur der Partei, der Weltkriegsveteran Manolis Glezos, veröffentlichte einen vernichtenden Verriss der bisherigen Regierungspolitik. Das Volk, so schrieb Glezos, habe nicht Tsipras gewählt, sondern dessen Programm. Tsipras habe kein Recht, dieses Programm zu verraten. Glezos rief zu Notversammlungen der Parteimitglieder auf, zu Widerstand gegen eine Politik die, auch wenn Tsipras sie führe, dennoch eine Politik der Oligarchen sei.