Schicksalstag für Europa: Merkel und Hollande verhandeln heute mit Wladimir Putin und Petro Poroschenko über einen Friedensplan. Antworten auf die wichtigsten Fragen

Brüssel Frankreichs Präsident François Hollande reist am Mittwoch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und „dem festen Willen“ nach Minsk, in der Ukraine-Krise eine Friedenslösung zu erreichen. „Die Kanzlerin und ich werden bis zum letzten Moment dieses Treffens besonders aktiv sein, damit es dort eine Einigung geben kann, eine umfassende Regelung“, sagte Hollande in Paris. In der weißrussischen Hauptstadt wollen sich beide mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin und dem ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko treffen. Das Treffen wird von manchen als die „letzte Chance“ für eine Lösung beschrieben, um einen offenen Krieg in der Ukraine zu vermeiden.

Welche Ziele haben Russland und der Westen im Ukraine-Konflikt?
Moskau will wie bisher als Veto-Spieler in der Ukraine auftreten – nichts soll im Nachbarland ohne die Zustimmung Russlands gehen. Oberstes Ziel ist dabei, die Kontrolle über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Ukraine zu behalten und zu verhindern, dass diese Mitglied von Nato und EU wird. Für den Westen geht es darum, die Prinzipien des Völkerrechts durchzusetzen: die „territoriale Integrität“ der Ukraine und die Selbstbestimmung von Völkern.

Warum ist das Treffen nötig?
Zur Lösung des Konflikts hatten die Regierung in Kiew und die prorussischen Separatisten im September 2014 in Minsk zahlreiche Friedensschritte vereinbart. Davon wurde aber fast nichts umgesetzt: Die Waffenruhe hielt nur kurz, eine Pufferzone gibt es nicht, nach Angaben von Poroschenko kämpfen weiterhin 5000 bis 9000 Russen mit Panzern an der Seite der Separatisten, und eine wirksame Kontrolle vor allem der russisch-ukrainischen Grenze durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fehlt. Jetzt versucht man, die Vereinbarung wiederzubeleben. Oberstes Ziel des Westens ist ein dauerhafter Waffenstillstand, der Abzug schwerer Waffen und ein Rückzug russischer Soldaten. Putin ist von der Viererrunde nicht überzeugt: Noch am Montag forderte er, dass die Separatisten und die Regierung in Kiew direkt verhandeln sollten.

Welche Ziele haben die Separatisten?
Das ist nicht immer eindeutig. Kurzfristig wollen sie auf jeden Fall erreichen, dass Kiew die Wirtschaftsblockade gegen den Donbass aufhebt und die ukrainischen Truppen zurückzieht. Langfristig streben sie eine Abspaltung von der Ukraine an, einigen Separatistenvertretern genügt eine weitgehende Autonomie.

Warum drängte der Westen so hartnäckig auf ein schnelles Treffen in Minsk?
In den vergangenen Wochen ist der Konflikt eskaliert und die schlecht ausgerüstete ukrainische Armee geriet immer stärker unter Druck. Der Westen hält die Lage für „brandgefährlich“. Man fürchtet, dass ein „Sieg“ der Separatisten in den Regionen Lugansk und Donezk zum Startschuss für die Operation „Landbrücke“ zur Anbindung an die Krim werden könnte, Poroschenko das Amt kosten wird, die Ukraine weiter destabilisiert und die Situation außer Kontrolle gerät.

Was sind die Knackpunkte bei den Verhandlungen?
Problem 1: Moskau will nicht, dass seine Grenze zur Ukraine von Außenstehenden überwacht wird. Der Westen fürchtet, dass sich ohne Kontrolle der militärische Nachschub für die Separatisten aus Russland nicht stoppen lässt. Problem 2: Beide Seiten müssen sich auf eine Demarkationslinie einigen. Der Frontverlauf hat sich seit dem „Minsker Abkommen“ zugunsten der Separatisten verschoben. Problem 3: Die Ukraine tut sich als souveräner Staat schwer damit, einen Teil des Landes als „Pufferzone“ einzurichten. Problem 4: der künftige Status der ostukrainischen Region. Hoch umstritten, auch zwischen dem Westen und der Ukraine ist, wie weit die Autonomie-Rechte gehen sollen und ob sie nur in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten gelten.

Wie sind die Erfolgsaussichten für die Minsker Gespräche?
Merkel & Co. dämpfen die Erwartungen. Das mag Taktik sein, damit ein Erfolg am Ende umso mehr strahlt. Andererseits: In Brüsseler Diplomatenkreisen ist man äußerst skeptisch. Ein erfahrener EU-Spitzendiplomat: „Es wird im besten Fall eine kleine Paketlösung geben. Die Gefahr ist aber sehr groß, dass sie nicht nachhaltig sein wird und letztlich alles so weiterläuft wie bisher – oder noch schlimmer wird. Für Putin gibt es keinen substanziellen Grund einzulenken.“

Ist es denkbar, dass Uno-Blauhelmsoldaten eine Waffenruhe überwachen?
Das schlägt Moskau vor. Der Westen ist strikt dagegen. Damit würde der Konflikt offiziell „eingefroren“ – wie bereits in anderen Regionen, beispielsweise Nordzypern. Genau das will Putin erreichen. Andererseits ist Moskau nicht bereit, eine EU-Mission zur Überwachung eines Waffenstillstands zu akzeptieren. Für Putin ist die EU eine Konfliktpartei.

Was passiert, wenn die Verhandlungen am Mittwoch scheitern und die Kämpfe weitergehen?
EU-Diplomaten erwarten, dass Washington mit der Lieferung defensiver Waffen wie Panzerabwehrraketen, Artillerieradar, geländegängigen Fahrzeugen beginnt. Auch Großbritannien, die Niederlande, Polen und Litauen könnten sich dann an der Lieferung nicht tödlicher defensiver Waffen wie Drohnen, Sprengstoffdetektoren und Schutzausrüstungen beteiligen. Der EU droht dann eine Spaltung. Die Forderungen der baltischen Staaten und einiger Osteuropäer nach härteren Sanktionen werden zunehmen. Länder wie Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Italien fürchten dagegen wirtschaftliche Nachteile.