Griechenlands neuer Ministerpräsident will seine Wahlversprechen schleunigst umsetzen: Tsipras erhöht Mindestlohn, stoppt Privatisierungen und geht mit der Ablehnung neuer Russland-Sanktionen außenpolitisch eigene Wege.

Brüssel/Athen. Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sucht die Machtprobe mit Europa. Er wolle zwar nicht die zerstörerische Konfrontation mit den internationalen Gläubigern suchen, aber: „Wir werden die Politik der Unterwerfung nicht fortsetzen“, sagte Tsipras. „Unser Chef ist kein anderer als das Volk.“ Der Syriza-Chef bekräftigte seine Forderung nach einem Schuldenschnitt. „Wir sind eine Regierung der nationalen Rettung, unser Ziel sind Schuldenerleichterungen.“

Gleichzeitig kündigte die neue Regierung ein Bündel von Maßnahmen an, mit dem das Sparprogramm zurückgefahren werden soll. Der Mindestlohn soll von 586 Euro auf 751 Euro angehoben werden. Für Ruheständler mit einer Rente unter 700 Euro soll es künftig ein Weihnachtsgeld geben. Zugleich will die Regierung Tauende Staatsbedienstete wieder einstellen. Im Zuge der Krise hatte die Regierung rund 10.000 Staatsdiener entlassen.

Außerdem sollen die mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarten Privatisierungen des Hafens von Piräus und des Energieversorgers PPC gestoppt werden. Auch die Elektrizitätsgesellschaft DEI und die griechische Eisenbahn sollen in staatlicher Hand bleiben. Die Privatisierung von Staatseigentum gehört zu den Auflagen der internationalen Geldgeber im Gegenzug für die Finanzhilfen an das hoch verschuldete Land. Die neue Regierung startet zudem mit einem Milliardenloch im Haushalt. In der offensichtlichen Hoffnung auf Steuersenkungen nach einem Sieg von Syriza haben zahlreiche Griechen in den vergangenen zwei Monaten ihre Steuern nicht gezahlt, so weit dies möglich war, wie ein Mitarbeiter des Athener Finanzministeriums bestätigte. Es fehlten vier Milliarden Euro.

Panikverkäufe an der Börse

Der radikale Kurswechsel der neuen Regierung hatte an der griechischen Börse Panikverkäufe ausgelöst. Nach den Ankündigungen der neuen Regierung stürzte der griechische Aktienindex um rund acht Prozent bis auf ein Zweieinhalbjahrestief ab. Besonders dramatisch fiel der Wertverlust bei Finanztiteln aus: Der griechische Bankenindex brach um fast 25 Prozent ein und damit so stark wie noch nie. Die Risikoaufschläge für griechische Staatsanleihen schossen dagegen in die Höhe. Für griechische Schuldpapiere mit einer Laufzeit von zehn Jahren verlangen Anleger 10,15 Prozent. Der Zins hat damit wieder das Niveau erreicht, das er vor der Ankündigung des Kaufprogramms von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) erreicht hatte.

Brüssel will der neuen Linksregierung entgegenkommen. Kommission und die EU seien „zu weniger Einmischung beim Austausch als in der Vergangenheit bereit und zu flexibleren Formen der Zusammenarbeit“, sagte Währungskommissar Pierre Moscovici. „Die Kommission will Griechenland weiterhelfen. Es kommt vor diesem Hintergrund nicht infrage, dass es zu einem Bruch kommt.“

Die Bundesregierung markierte allerdings klare rote Linien. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) lehnte einen weiteren Schuldenerlass für Athen ab. „Ich kann mir keinen Schuldenschnitt vorstellen“, sagte Gabriel. Klar sei, dass Griechenland im Euro-Raum gehalten werden müsse. Genauso klar sei aber auch, dass es auch Fairness gegenüber der Bevölkerung in Deutschland und in den anderen europäischen Ländern geben müsse. Die europäischen Partner stellen Griechenland laut Gabriel Hilfen von 278 Milliarden Euro bereit. Das sei kein schwaches Solidaritätssignal. Die Bürger der anderen Mitgliedstaaten, die diesen Beitrag erarbeiteten, hätten einen Anspruch darauf, dass die damit verbundenen Verabredungen eingehalten werden.

Sorge um abweichenden Kurs Griechenlands

Die Bundesregierung forderte die griechische Regierung auf, den EU-Staaten rasch Klarheit über ihren künftigen wirtschaftspolitischen Kurs zu geben. Deutschland gehe davon aus, „dass die neue Regierung den europäischen Partnern recht bald ihre Gesamtstrategie wirtschafts- und finanzpolitisch vorlegen wird“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Sie müsse dabei auch deutlich machen, wie es mit dem laufenden Hilfsprogramm und der Erfüllung der übernommenen Pflichten weitergehen solle.

Auch außenpolitisch geht Athen neue Wege. Die neue Regierung will sich weiteren Sanktionen gegen Russland wegen dessen Verhaltens in der Ukraine-Krise nicht anschließen. Athen protestierte zugleich dagegen, dass eine EU-Erklärung zu neuen Sanktionen ohne Zustimmung Griechenlands veröffentlicht worden sei. Ein mögliches Abweichen Griechenlands von der gemeinsamen Linie der EU sieht der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, mit Sorge. Die Einigkeit sei bisher die einzige Stärke der EU gewesen, sagte Erler am Mittwoch im ARD-„Morgenmagazin“. „Es war von Moskau auch immer wieder versucht worden, Keile in diese Einigkeit zu bringen, und das wäre jetzt sehr bedauerlich, wenn sie mit der Wahl von Herrn Tsipras ein Ende fände.“ Allerdings stünden die eigentlichen Entscheidungen noch bevor, beim EU-Gipfel am 12. Februar. „Man kann also noch nacharbeiten“, sagte Erler.