Brüssel und Berlin werden für Armut und Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht

Berlin. Ganz Europa blickt gebannt nach Athen, wo der designierte neue Ministerpräsident Alexis Tsipras seinem überzeugenden Wahlsieg eine wundersam schnelle Regierungsbildung mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel) folgen ließ. Im südlichen Europa beginnen ebenfalls junge wilde Linke (Mario Renzi in Italien, Pablo Iglesias von Podemos in Spanien), sich gegen das Spardiktat von Brüssel und Berlin aufzulehnen. Der 36 Jahre alte Iglesias war bei seinem Gesinnungsgenossen Tsipras bei der Abschlusskundgebung in Athen dabei und verkündete nun nach seiner Rückkehr aus dem Land der Aufsässigen: „Für die Konservativen macht die Uhr ticktack.“

In Italien ist der Jubel über den Wahltriumph von Tsipras riesig. „Mitico“ – mythisch, titelt die kommunistische Zeitung „Il Manifesto“ auf ihrer ersten Seite und zeigt Tsipras mit erhobener Faust. „Sieg! Danke Alexis, danke Genossinnen und Genossen in Griechenland. Ihr seid eine Hoffnung gegen die zynische Sparpolitik“, schreibt Nichi Vendola, Regionalpräsident Apuliens und Frontmann der Partei Sinistra Ecologia Libertà (SEL) auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Viele Italiener teilen den Unmut der Griechen. Berlin und Brüssel sind nicht wohl gelitten im Land. Fallen die Begriffe „Maastricht-Auflagen“, „Fiscal Compact“ und „Strukturreformen“, dann verdrehen die Bürger in Mailand, Neapel oder Rom die Augen. Die Sparpolitik Nordeuropas machen sie mit für hohe Arbeitslosigkeit und steigende Armutszahlen verantwortlich. Bislang jedoch gelingt es der italienischen Linken nicht, aus dieser Wut der Bürger Kapital zu schlagen. Stärkste Partei sind die Sozialdemokraten (Partito Democratico, PD). Unter ihrem Parteichef Matteo Renzi, der gleichzeitig Ministerpräsident ist, geht die PD allerdings nur ein bisschen auf Konfrontation zu Europa. Renzi versucht den Mittelweg. Er wünscht sich von Europa mehr finanziellen Spielraum, mehr Investitionen, peitscht aber zugleich Strukturreformen voran. Das politische Spektrum links von der PD ist zersplittert.

Die französische Zeitung „Dernières Nouvelles d'Alsace“ aus Straßburg forderte in einem Kommentar, Tsipras eine Chance zu geben. Man könne hoffen, dass Tsipras das tun werde, was François Hollande nach seiner Wahl „nicht tun konnte oder wollte“. Tsipras' Politik des Wiederaufschwungs und der Reformen der Institutionen könne Erfolge zeitigen, sofern die Finanzmärkte ihm die nötige Zeit ließen. Tsipras verdiene eine Chance dort, wo alle anderen Politiker gescheitert seien.