Es geschah zu der Zeit, als Quirinius Statthalter in Syrien war – die Menschen leiden wie in den Jahren um Christi Geburt

Hamburg. Die Provinz Syrien war in der Zeit um Christi Geburt eine der reichsten und damit wichtigsten des Römischen Reiches. Das südlich davon gelegene Gebiet Judäa, dessen Herrscher Herodes Archelaus als inkompetent galt und ins Exil geschickt wurde, gliederte Kaiser Augustus im Jahre 6 dieser Provinz an.

Zum Statthalter hatte er einen Mann bestimmt, der zwar nicht aus einer alten römischen Patrizierfamilie stammte, der sich aber schon auf Führungsposten in Kleinasien gut bewährt hatte: Publius Sulpicius Quirinius. Der 45 v. Chr. geborene Quirinius musste nach der Eingliederung Judäas das Steuerwesen seiner Provinz völlig neu ordnen und setzte dazu einen allgemeinen Befehl seines Kaisers zu Volkszählungen im ganzen Reich auch in Syrien als Provinzialzensus um. Einen Aufstand der unruhigen judäischen Bevölkerung, die Augustus partout nicht als Gott-Kaiser anerkennen wollte, verhinderte er durch diplomatisches Geschick – aber auch durch die bedrohliche Präsenz seiner vier kampfkräftigen römischen Legionen.

Dies ist die historische Folie, auf der sich die Geschichte von der Augustäischen Volkszählung, der Reise von Maria und Joseph von Nazareth nach Bethlehem sowie von der Geburt Christi entfaltet. Martin Luther, der Übersetzer der Bibel ins Deutsche, hat den römischen Senator und Statthalter Quirinius, der den Beinamen „Cyrenius“ trug, als „Landpfleger“ bezeichnet. Darunter verstand man im Mittelalter einen lokalen Amtsträger mit juristischen und Verwaltungsaufgaben.

Die Provinz Syria war 63 v. Chr. vom Feldherrn Gnaeus Pompeius Magnus – bis zu seiner Niederlage gegen Cäsar der brillanteste Heerführer seiner Zeit – eingerichtet worden und produzierte vor allem Olivenöl, Zedernholz, Wein, Glas und Elfenbeinartikel.

Das heutige Syrien, etwas kleiner als die römische Provinz, ist nach ihr benannt. In Syrien, das heute vor allem Erdöl produziert, wäre man jetzt wohl froh, eine starke ordnende Zentralmacht zu haben, die in der Lage wäre, Ruhe im Land zu halten. Die Römer der damaligen Ära kümmerten sich in der Regel nicht um die jeweilige Religion ihrer Untertanen und beließen meistens auch lokale Herrscher im Amt – so lange ihre Politik den Interessen des Römischen Reiches nicht widersprach.

Allerdings handelten sie im Fall wiederholter Aufstände ähnlich brutal wie die Familie Assad in unserer Zeit. Im Jahre 70 nach Christus hatte der spätere römische Kaiser Titus das rebellische Jerusalem erobert und zerstörte Tempel und Stadt so gründlich, dass sich die Juden, ihres geistigen und religiösen Zentrums beraubt, fluchtartig in alle Welt zerstreuten – die 2000 Jahre währende Diaspora hatte begonnen. Jerusalem war später Kern der neu geschaffenen Provinz Syria Palaestina.

Selbst die machtbewussten und wenig zimperlichen Römer der Zeitenwende waren noch eher „Landpfleger“ im Wortsinn, als es die seit Jahrzehnten in Syrien herrschende Assad-Dynastie ist. Und deren Armee hat trotz des Einsatzes von Giftgas und gelegentlicher Erfolge – wie jüngst der Rückeroberung eines Gebiets nördlich der strategisch bedeutenden Stadt Aleppo – nicht die Möglichkeiten der römischen Legionen. Assads Truppen kämpfen gleichzeitig gegen die Al-Qaida-Filiale Al-Nusra-Front, gegen die ungleich stärkeren, mit al-Qaida rivalisierenden Einheiten des „Islamischen Staates“ (IS) sowie die Reste der einst hochaktiven Freien Syrischen Armee, deren Soldaten jedoch immer häufiger zu den Islamisten überlaufen.

Der Frontverlauf im Bürgerkrieg in Syrien, dem bislang rund 200.000 Menschen zum Opfer gefallen sind, wird immer unübersichtlicher. Einst hatte der IS de facto sogar in Assads Interesse gehandelt, als er die Rebellen und ihre kurdischen Verbündeten angriff. Heute handelt eine US-geführte Luftwaffenkoalition ebenso de facto, aber wider Willen in Assads Interesse, wenn sie die Stellungen des IS bombardiert und damit Assad militärisch entlastet.

Die Türkei hat zwar 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, weigert sich aber, einen Finger gegen den IS zu erheben, weil das dem Erzfeind Assad helfen würde. Die Türkei ist weitgehend sunnitisch geprägt, die Familie Assad gehört der Geheimsekte der Alawiten an, die den Schiiten nahestehen. So erklärt sich, dass der Iran und die schiitische Hisbollah-Miliz auf Seiten von Assad kämpfen. Der schiitische Iran hat mit Kampfflugzeugen in die Schlacht gegen den radikalsunnitischen IS eingegriffen; die sunnitische Vormacht Saudi-Arabien aber ebenso wie die christlichen USA.

Zu Zeiten von Publius Sulpicius Quirinius gab es den jüdischen Glauben bereits, und es wurde mit Jesus Christus gerade der Messias des christlichen Glaubens geboren. Die dritte große monotheistische Religion, der Islam, betrat die Weltbühne erst sechs Jahrhunderte später – und erlitt unmittelbar nach dem Tod seines Propheten Mohammed im Jahre 632 jene Spaltung, jenes Schisma, an dem die islamische Welt bis heute leidet. Auch und gerade in Syrien.

Von einem mehr als biblischen Ausmaß ist das Elend der dortigen Zivilbevölkerung. Bis zu zehn Millionen Menschen sind innerhalb Syriens vor den Kämpfen geflohen; mindestens 3,2 Millionen weiteren ist die Flucht in die Nachbarstaaten Türkei, Libanon und Jordanien gelungen, die zum Teil mit diesem gewaltigen Ansturm völlig überfordert sind. Der winzige Libanon beherbergt allein mehr als 1,2 Millionen Flüchtlinge – bei einer Bevölkerungszahl von 4,4 Millionen. Auf die 81 Millionen Deutschen hochgerechnet, wären das rund 20 Millionen Flüchtlinge bei uns.

Doch schon die 25.000, die wir bislang aufnehmen wollen, scheinen vielen Deutschen zu viele zu sein. Das Elend der verzweifelt Schutz und Hilfe Suchenden beschwört Visionen aus der Weihnachtsgeschichte herauf – von einer hochschwangeren Frau und ihrem Mann, die am Ende, weil ihnen niemand helfen will, in einem Stall Zuflucht finden.