Nach Niederlagen in Syrien und Nordirak soll die Terrormiliz fast 150 abtrünnige Kämpfer hingerichtet haben

Bagdad. In Erbil wurde gefeiert. Mit wehenden Fahnen und Hupkonzerten fuhren Autokarawanen durch die Hauptstadt der autonomen Kurdenregion (KRG) im Irak. Es war eine Demonstration von nationalem Stolz, Genugtuung und Freude, nachdem bekannt geworden war, dass die Peschmerga-Truppen am Sonnabend die Kontrolle über Sindschar zurückgewonnen haben. Der Sicherheitsrat der Kurdenregion (KRSC) hatte den Vorstoß der Truppen in die jesidische Stadt um 13.45 Uhr gemeldet und bereits eine Stunde später die „erfolgreiche Kontrolle von Sindschar und der umliegenden Dörfer“ verkündet. Die Terrorgruppe IS scheint wenig Widerstand geleistet zu haben.

„Sie flüchten geschlagen aus der Stadt“, meldete Zaid Ali, ein Peschmerga-Kommandeur von der Front. In Baadsch, einem Ort etwa 25 Kilometer südlich von Sindschar, habe die Terrormiliz bei ihrem überhasteten Rückzug schwere Verluste erlitten. Aus Mossul kamen zudem Berichte, dass die örtlichen Leichenhallen mit toten IS-Kämpfern überfüllt seien und ein Teil des Führungspersonals der Terrorgruppe über die Grenze gegangen sei.

Eine Gegenoffensive der Terrormiliz sei unmöglich, behauptete Fazil Mirani, ein leitender Offizier der Peschmerga. „Unsere Truppen haben alle wichtigen Straßen um Mossul gesperrt, und wir kontrollieren die Zufahrtswege an die syrische Grenze.“ Die Terroristen seien demoralisiert, sagte Mirani. Die Eroberung der Stadt Sindschar ist der zweite große Erfolg der Peschmerga-Offensive, die mit 8000 Mann gegen die Extremisten des IS geführt wird. Vor zwei Tagen konnten sich die kurdischen Truppen aus einem Korridor bis ins Sindschar-Gebirge freikämpfen und dabei zahlreiche Dörfer zurückerobern. Insgesamt machten die Peschmerga rund 100 Quadratkilometer an verlorenem Territorium wieder gut. „Einen signifikanten Fortschritt, den Vormarsch des IS aufzuhalten“, nannte es der amerikanische Generalleutnant John Terry, der den Einsatz der US-Luftwaffe gegen die Terrororganisation IS im Irak anführt.

Kampfflugzeuge der Vereinigten Staaten hatten die Operation der Peschmerga mit mehr als 50 Luftangriffen unterstützt. Die US-Luftangriffe sind ein entscheidender Faktor für den Erfolg der kurdischen Bodentruppen. Die zweite Erfolgsgarantie sind die schweren Waffen, die von westlichen Ländern, darunter auch Deutschland, an die Kurden geliefert wurden. Für die Peschmerga bedeutet die Einnahme der Stadt Sindschar nicht nur einen Triumph über die IS-Terroristen, sie ist auch eine Wiedergutmachung. Im August hatten sie den jesidischen Ort aus Angst vor den heranrückenden Extremisten einfach geräumt.

Man nannte es damals einen „taktischen Rückzug“, der allerdings fatale Auswirkungen hatte. Die jesidische Bevölkerung der Region musste vor den brandschatzenden Islamisten flüchten. Hunderte Mitglieder der religiösen Minderheit im Irak konnten sich nicht retten und wurden brutal ermordet. Einige Tausend jesidischer Frauen endeten als Sklaven der Islamisten. Zehntausende, die Zuflucht auf dem Sindschar-Gebirge fanden, mussten ohne ausreichend Lebensmittel, Wasser und Medikamente wochenlang ausharren. Die letzten Flüchtlinge konnten erst jetzt von heranrückenden Peschmerga befreit werden.

Unterschiedliche Darstellungen gab es am Wochenende über Auseinandersetzungen innerhalb der Terrormiliz nach der Niederlage. Augenzeugen sagten der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag, die Miliz habe in Mossul mindestens 45 eigene Mitglieder hingerichtet. Die Dschihadisten seien für ihre Niederlage im Kampf um die Stadt Sindschar bestraft worden. Auch im syrischen Al-Rakka waren nach Angaben von Aktivisten „abtrünnige“ Dschihadisten getötet worden. Mindestens 100 ausländische Kämpfer seien hingerichtet worden, hieß es. Sie hätten in ihre Heimatländer zurückkehren wollen, sagte ein Aktivist aus Al-Rakka. Hunderte weitere Kämpfer befänden sich unter strenger Beobachtung der IS-Führung. Eine „Sittenpolizei“ kontrolliere vor Ort ihre Gesinnung, sagte ein anderer Aktivist aus der Stadt, der ebenfalls anonym bleiben wollte.

„Der Bericht über die Exekutionen ist falsch“, sagte dagegen ein Mitglied des geheimen Mediennetzwerks RSS am Sonntag der Zeitung „Die Welt“. „Unsere IS-Quellen sagen, die Hinrichtungen habe es nicht gegeben.“ In Al-Rakka seien jedoch zahlreiche Wohnungen und Häuser ausländischer Kämpfer durchsucht worden, die nicht mehr zum Dienst erschienen waren, dabei habe es Massenverhaftungen gegeben. Die Terrormiliz sei nervös, sagte der Aktivist. „Die Militärpolizei hat in Al-Rakka sehr viele zusätzliche Checkpoints eingerichtet, um untreue Kämpfer zu erwischen.“ Gerade ausländische Gotteskrieger wollen in ihre Heimatländer oder zu anderen Gruppen flüchten. Sie sollen unzufrieden sein, dass sie beim Einsatz in Kobane sinnlos verheizt werden. Die meisten waren nach Syrien gekommen, um gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu kämpfen, nicht gegen andere islamistische Rebellengruppen. Der IS-Chef und selbst ernannte Kalif Abu Bakr al-Bagdadi erhebt den alleinigen Führungsanspruch über alle Dschihadisten.