Der ehemalige Profiboxer engagiert sich in Polen gegen Diskriminierung – und wird deshalb hart attackiert

Warschau. Bis heute ist unvergessen, mit welcher Geschwindigkeit und Aggressivität Dariusz Michalczewski im Boxring auf seine Gegner einschlug – in 38 Kämpfen bis zum K.o. Das brachte ihm den Weltmeistertitel im Halbschwergewicht und den Spitznamen „Tiger“ ein. Fast zehn Jahre nach seinem letzten Kampf steigt Michalczewski wieder in den Ring, diesmal in seiner Heimat Polen. Statt Shorts trägt er einen blauen Anzug und ein weißes Hemd. Er guckt nicht grimmig, sondern lächelt sanft in die Kameras. In den Händen hält er ein Schild mit der Aufschrift: „Ich möchte in einem Land leben, in dem meine homosexuellen Freunde nicht diskriminiert werden.“ Der Schlag hat gesessen. Doch der Gegner ist mächtig. Es geht gegen die weitverbreitete Homophobie, den Hass auf Schwule, in Polen.

Das Foto entstand bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Schulter an Schulter für Gleichheit – LGBT und Freunde“. Veranstaltet wurde das Event von einer polnischen Organisation, die sich für die Rechte Homosexueller einsetzt. Homophobie ist noch immer weit verbreitet in Polen. In einer repräsentativen Umfrage des Zentrums zur Untersuchung der öffentlichen Meinung aus dem Jahr 2013 gaben 26 Prozent der Befragten an, dass Homosexualität nicht normal ist und nicht toleriert werden darf. Und Michalczewskis Boxer-Kollege Tomasz Adamek sagte in einem Interview: „Schwule, Lesben und Transsexuelle sind Perverse und dagegen muss man kämpfen. Ich werde sie zu einem normalen Leben überreden, so wie Gott es will.“

Michalczewski kann die Einstellung Adameks nicht nachvollziehen. Er fragt: „Ist ein homosexueller Sportler schlechter als ein heterosexueller? Haben seine Medaillen einen anderen Wert? Zählen Tore nicht, die ein schwuler Fußballer schießt?“ Und er beantwortet seine Fragen selbst: „Das ist ein Riesenblödsinn!“

Auch in der Politik ist die Homophobie in Polen weit verbreitet. Zwar wurde vor Kurzem mit Robert Biedron in Slupsk der erste schwule polnische Bürgermeister mit überraschenden 57 Prozent der Stimmen gewählt. Doch Äußerungen polnischer Politiker zeigen, wie Teile der politischen Elite denken: So sagte der Friedensnobelpreisträger Lech Walesa, der sich in den Achtzigern mit seinem Kampf gegen den Kommunismus verdient gemacht hat, vor knapp zwei Jahren im polnischen Fernsehen über Homosexuelle: „Eine Minderheit sollte nicht der Mehrheit auf der Nase herumtanzen.“ Und auf die Frage, ob er wolle, dass Homosexuelle im Parlament in der letzten Reihe sitzen, antwortete er: „Ja, oder sogar hinter der Mauer.“

Zwar bekam Walesa für seine Äußerungen Kritik aus allen im Parlament vertretenen politischen Lagern. Doch ist der Ex-Präsident nicht der einzige polnische Politiker, der durch solche Äußerungen auffiel. Vor allem Abgeordnete aus den Reihen der konservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit äußern sich immer wieder negativ über Homosexuelle – und sprechen damit aus, was ein großer Teil der Bevölkerung denkt. So kommentierte der Abgeordnete Stanislaw Pieta eine Untersuchung der EU über Homophobie in Europa auf Twitter mit den Worten: „Degenerierte, Perverse und Pädophile wollen Religion und Familie zerstören und das Naturrecht infrage stellen. Das wird ihnen nicht gelingen!“ Es ließen sich viele weitere solcher Beispiele nennen.

Michalczewski wurde für seine Aktion teilweise heftig kritisiert. Internet-Nutzer kommentierten Meldungen mit Sprüchen wie: „Er hat wohl einen Schlag zu viel abbekommen.“ Trotzdem ließ Michalczewski nicht locker und sprach sich in einem Interview sogar dafür aus, dass Homosexuelle das Recht haben sollten, Kinder zu adoptieren. Damit sorgte er erst recht für Empörung. Der Gegner schlug natürlich zurück. So schrieb Marek Jakubiak, der Besitzer einer großen polnischen Brauerei: „Boxen schadet angeblich (dem Gehirn), und das ist der unumstößliche Beweis dafür. Ich weiß, dass das nicht mehr möglich ist, aber ich wünsche dir, Dariusz, eine Mutter mit einem Schwanz statt mit Brüsten, damit du etwas zum Saugen hast.“

Anders als beim Boxen scheint der „Tiger“ in diesem Kampf vor allem deshalb unbesiegbar, weil die Schläge seiner Gegner ihm nichts anhaben können. In einem Interview sagte er zu der Äußerung Jakubiaks: „Ich war mehrfacher Boxweltmeister, ich habe Hunderte Kämpfe ausgetragen. Kann so etwas mich beleidigen? Soll dieser arme Mensch doch sagen und schreiben, was er will – das ist ein freies Land. Mich berührt das mit Sicherheit nicht. Seine Post sagt nichts über mich aus, dafür aber viel über ihn.“ Und tatsächlich bekam Jakubiak nun seinerseits heftige Reaktionen zu spüren. Ein Warschauer Café organisierte eine Veranstaltung, bei der Bier aus Jakubiaks Brauerei öffentlich weggeschüttet wurde. Schließlich löschte Jakubiak seine Post und entschuldigte sich.

Michalczewski äußert sich immer wieder zu dem Thema, unbeeindruckt von den Attacken auf ihn. In einem Interview mit der Zeitung „Gazeta Wyborcza“ erklärte er, warum sein Engagement für Homosexuellen-Rechte sich problemlos mit seinem Glauben vereinbaren lasse: „Ja, ich bin praktizierender Katholik, aber für mich ist Katholizismus die Religion der Liebe. Ich glaube, im Evangelium gibt es keinen Platz für Hass gegenüber anderen Menschen.“

Seine Argumentation kommt gut an bei vielen Menschen in Polen. In Internet-Kommentaren heißt es auch: „Bravo! Weg mit denen, die uns ins finstere Mittelalter zurückwerfen wollen“, „Respekt!“ oder „Michalczewski ist der neue polnische Nationalheld“. Die positiven Kommentare überwiegen eindeutig. Es sieht ganz nach einem Punktsieg für Dariusz Michalczewski aus.