Unter Präsident al-Sisi wächst die Zahl der Übergriffe

Kairo. Die Männer stehen da wie Freiwild, nackt bis auf die Unterhosen, aufgereiht und mit hängenden Köpfen. Alte wie junge sind darunter, manche muskulös, andere beleibt. Einige wurden mit Plastikschnüren gefesselt – wer freie Hände hat, nutzt sie, um sein Gesicht darin zu vergraben.

Die Szene gehört zu einer Razzia in einem Hammam, einem orientalischen Badehaus, in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Die Polizei hatte einen Tipp bekommen, dass sich in dem Bad Männer zum Gruppensex treffen würden. Vor zwei Wochen stürmte sie den Hammam und nahm 26 Männer fest. Am Sonntag stehen diese nun in Kairo vor Gericht. Die Anklage wirft ihnen vor, in dem Badehaus ein „homosexuelles Sex-Netzwerk“ betrieben zu haben.

Ein Fernsehteam hatte die Hammam-Razzia gefilmt – und noch am selben Abend die Aufnahmen auf Facebook veröffentlicht, unzensiert. Die Moderatorin versprach, die ganze Wahrheit über „die Höhlen, in denen sich Aids in Ägypten verbreitet“, aufzudecken. Homosexualität ist in Ägypten nicht offiziell verboten. Doch ein 1961 erlassenes Gesetz gegen „sexuelle Ausschweifungen“ half den Behörden immer wieder, Jagd auf Schwule und Lesben zu machen. In den Jahren der Revolution seit 2011 nahmen die Zugriffe ab – doch seit der Ex-Militär Abdel Fattah al-Sisi im Mai zum Präsidenten gewählt wurde, nimmt die Verfolgung der „Ausschweifenden“ wieder zu.

„Das Militärregime will so beweisen, dass es einen konservativen Staat führen kann“, sagt Mohammed. „Es arbeitet mit der Angst der Menschen vor allem vermeintlich Unmoralischen.“ Mohammed ist 30 Jahre alt und schwul. „Nenn mich Mohammed A.“, sagt er, um seine Identität zu schützen. Er habe erlebt, wie Freunde bei der Revolution 2011 in Kairo die Regenbogenflagge schwenkten, das internationale Symbol der Lesben und Schwulen. Heute seien sie wieder „unsichtbar“ geworden, um nicht in Polizeihände zu geraten.

Unter Mubarak ging die ägyptische Justiz hart gegen Homosexuelle vor. Bei einer Razzia 2001 auf einem Nilboot waren 52 mutmaßlich schwule Männer verhaftet worden. Erst als sich die Ägypter Anfang 2011 von ihrem Langzeitherrscher befreiten, sei es besser geworden, sagt Mohammed. Er selbst habe sich getraut, mit seiner Familie über seine Neigung zu sprechen. „Meine Mutter verleugnet mich seitdem, und mein Vater betet, dass ich mich wieder ändere“, sagt er. Allein seine Geschwister und einige Cousinen hätten das Coming-out akzeptiert. Ältere Ägypter seien noch nicht bereit für eine Welt, in der es Schwule gibt.

Seit dem Sommer wurden bereits mehr als 150 Männer verhaftet

Die schwulenfeindliche Stimmung ist zurück. Mehr als 150 Männer sind nach Angaben der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR) seit Sommer verhaftet worden. Im November wurden acht Männer zu je drei Jahren Haft verurteilt. Sie tauchten in einem Video auf, dass eine angebliche Schwulenhochzeit zeigt. Die EIPR-Mitarbeiterin Dalia Abdel-Hamid sieht ein politisches Ziel hinter den Verhaftungen. Al-Sisi versuche „islamischer als die Islamisten“ zu sein, sagte sie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Als Armeechef hatte al-Sisi im Juli 2013 den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt. Jetzt müsse sich der Präsident beim konservativen Volk beliebt machen, so Abdel-Hamid.

Doch die Razzia im Badehaus sorgte unter Ägyptens Jugend für Empörung. Viele kritisierten das öffentliche Bloßstellen der Männer. Als die Moderatorin auf Facebook fragte, ob man solche „Gruppensexorte“ schließen solle, empfahlen ihr viele in den Kommentaren die Schließung ihrer TV-Show.