Der Kremlchef verteidigt den Einsatz russischer Kämpfer in der Ukraine und lobt überraschend Präsident Poroschenko

Moskau. Etwas unsicher wirkte der russische Präsident Wladimir Putin am Anfang seiner jährlichen Pressekonferenz, beim Reden geriet er ein paar Mal kurz ins Stocken. Dabei hatte er gleich zu Beginn so viel Positives zu berichten: Er sprach über gute Entwicklungen in der russischen Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt sei um 0,7 Prozent gewachsen, die Arbeitslosigkeit mit fünf Prozent niedrig, die Gehälter und Renten seien erhöht worden, und es habe in Russland eine „Rekord-Ernte“ gegeben. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Zustand der russischen Wirtschaft ist dramatisch.

Der Ölpreis fällt und damit auch der Rubelkurs. Russland droht eine tiefe Rezession, der Wohlstand seiner Bürger wird sinken. Der Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew gab in der Zeitung „Wedomosti“ zu, dass es keinen strategischen Plan für diese Krise gibt. „Diesen Sturm haben wir selbst vorbereitet“, sagte er im Hinblick auf die fehlenden Reformen der vergangenen Jahre, die die russische Wirtschaft stabiler gemacht hätten.

Das ist keine einfache Situation für Putin, der alles unter Kontrolle haben, immer im Recht sein und nie eine Schwäche zeigen will. Dieses Jahr begann für ihn mit den Olympischen Spielen und der Krim-Annexion voller Triumph. Doch jetzt wachsen die Probleme. Bis Donnerstag wollte er sich zum Rubelkurs nicht äußern. Putin zeigt sich nun optimistisch. Seine Grundthese ist: Alles ist in Ordnung oder wird schnell wieder in Ordnung sein. Er gibt zwar zu, dass es Schwierigkeiten in der Wirtschaft gibt, glaubt aber, dass sie schnell vorüber sein werden.

Unvermeidlich – dieses Wort betont Putin gleich mehrmals. Unvermeidlich würden die Ölpreise wieder steigen. Und auch das Wachstum sei unvermeidlich, erklärte der russische Präsident. Im schlimmsten Fall werde es zwei Jahre dauern, bis sich die russische Wirtschaft wieder erhole. Es könne aber auch schneller gehen. In dieser Zeit soll Russland das tun, was in den vergangenen 20 Jahren nicht gelungen ist – die Abhängigkeit von Öl und Gas verringern. „Die Wirtschaft wird sich an das Leben und die Arbeit mit niedrigen Ölpreisen anpassen“, sagte Putin. Außerdem habe Russland genug Währungsreserven, um die Krise zu überstehen.

Zu den Gründen der Krise sagte er: „Natürlich wurde die Situation von äußeren Faktoren provoziert.“ Der Ölpreis beeinflusse die russische Wirtschaft stark. Die Sanktionen des Westens hätten allerdings etwa 25 bis 30 Prozent zu den wirtschaftlichen Problemen Russlands beigetragen. Die Wirtschaftskrise sei keine Vergeltung für die Krim, sondern für den russischen „Wunsch, sich als eigenständige Nation, als eigenständigen Staat zu erhalten“. Vieles sei in den vergangenen 20 Jahren aber auch im Inneren nicht angepackt worden, um die russische Wirtschaft zu diversifizieren.

Wieder warf Putin dem Westen vor, an russischen Problemen schuld zu sein und sie bewusst zu verursachen. Der Bau der neuen „Berliner Mauer“ habe nicht erst jetzt, sondern bereits in den frühen 90er-Jahren begonnen. „Unsere Partner haben beschlossen, dass sie die Sieger und alle anderen ihre Vasallen sind“, sagte Putin über den Westen. Der Westen habe Terroristen in Tschetschenien unterstützt und versucht, die Winterspiele in Sotschi zu diskreditieren.

Putin verglich Russland mit einem Bären, der gegen seine Feinde kämpft. „Wenn man ihn ankettet, wird man ihm Zähne und Krallen ausreißen. In unserem heutigen Verständnis sind es Nuklearwaffen“, erklärte er. Wenn das passieren würde, würde man den Bären ausstopfen und sein Territorium verteilen. „Wollen wir uns behaupten und darum kämpfen, in diesen Bedingungen die Struktur unserer Wirtschaft zum Besseren zu verändern, unabhängiger zu werden und alles zu überwinden – oder wollen wir, dass man unser Fell an die Wand hängt? Das ist jetzt unsere Wahl.“

Ein BBC-Journalist sprach den neuen kalten Krieg und russische Militärmanöver an Europas Grenzen an und fragte Putin, ob er etwas sagen könne, was den Westen davon überzeugen würde, dass die Spannung sich bald beruhige. Putin wies jedoch die Kritik zurück. „Wir überfallen niemanden, wir verteidigen unsere Interessen“, erklärte er. Die USA hätten in den 90er-Jahren die Landstreckenpatrouillen im Unterschied zu Russland nicht eingestellt, hätten Militärbasen überall auf der Welt und bauten ein Raketenschild in Europa auf. Das Militärbudget der USA sei zehnmal größer als das Russlands. Russland wolle mit dem Westen weiter bei der Bekämpfung von Terrorismus, Drogenhandel und in der Wirtschaft zusammenarbeiten.

Auf die Frage eines ukrainischen Journalisten, wie viele russische Soldaten in der Ukraine ums Leben gekommen seien, antwortete Putin ausweichend: „Alle Menschen, die dem Ruf des Herzens folgen oder freiwillig an irgendeinem Kampf teilnehmen – einschließlich in der Ukraine –, sind keine Söldner, da sie dafür kein Geld bekommen.“ Russland werde weiter das Abkommen von Minsk unterstützen. Putins Ziel sei es, einen „gemeinsamen politischen Raum“ mit der Ostukraine wiederherzustellen – wie er sich diesen vorstellt, sagte er nicht.

Überraschend lobte der russische Kremlchef den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, dieser sei ohne Zweifel an einer friedlichen Lösung interessiert. Es gebe aber auch andere Stimmen in der ukrainischen Politik. Auf der Pressekonferenz wurden mehr kritische Fragen als zuvor zugelassen und live übertragen. Journalisten fragten nach der Hetzkampagne gegen die Opposition, die als „fünfte Kolonne“ verunglimpft wurde, und nach der Propaganda des russischen Staatsfernsehens, das in einer Reportage behauptete, die ukrainische Armee habe einen Jungen gekreuzigt, was sich als Lüge herausstellte. Putin gelang es aber, den Fragen auszuweichen – auch weil keine Nachfragen erlaubt wurden.