Terroristen töten bei Angriff auf pakistanische Schule mehr als 130 Menschen. Vergeltung für Militäraktion gegen die Islamisten

Peschawar. Die sechs Terroristen trugen Armeeuniformen, als sie gegen zwölf Uhr in die öffentliche Militärschule in der pakistanischen Stadt Peschawar eindrangen. Es war gerade Examenszeit, die jährlichen Prüfungen wurden abgelegt: Rund 500 Schüler und ihre Lehrer hielten sich in den Gebäuden auf. Dann waren Schüsse zu hören.

Mindestens 140 Menschen haben die Extremisten bei dem Angriff ermordet, teilte die Regierung der Provinz Khyber Pakhtunkhwa mit, mehr als 130 davon waren Kinder und Jugendliche. Rund 130 weitere Menschen wurden verletzt. Die Provinzregierung verhängte eine dreitägige Trauerzeit. Nach stundenlangen Schusswechseln waren auch die Attentäter tot.

Ein Schulbusfahrer berichtete: „Wir standen außerhalb der Schule, als plötzlich drinnen die Schießerei losging. Überall waren Chaos und die Schreie von Schülern und Lehrern.“ Die Streitkräfte sprengten offenbar eine Wand, um in das Gebäude zu gelangen. Eine laute Explosion war zu hören.

„Wir waren im Prüfungssaal“, erzählte einer der Lehrer gegenüber einem privaten Fernsehsender, nachdem ihm die Flucht gelungen war. „Eine halbe Stunde nach der ersten Attacke traf die Armee ein und sperrte die Schule ab. Jetzt sichern die Soldaten ein Klassenzimmer nach dem anderen.“ Ein Soldat berichtete, dass die Terroristen einige Kinder als Geiseln genommen hätten.

Als die ersten Schüsse fielen, so berichtete später ein junger Augenzeuge, wiesen die Lehrer ihre Schüler an, sich zu ducken. „Später haben die Soldaten uns hinausgescheucht. Als wir rausgebracht wurden, sahen wir die Körper unserer Klassenkameraden in den Korridoren liegen.“ Mudassar Abbas, ein Assistent im Physiklabor der Schule, berichtete: „Ich habe sechs oder sieben Männer gesehen, die von Klasse zu Klasse liefen und das Feuer auf die Kinder eröffneten.“

Kurz nach dem Angriff bekannten sich die pakistanischen Taliban (Tehreek-e-Taliban Pakistan, kurz TTP) zu der Attacke. Diese sei gegen die Armee gerichtet – nicht gegen unschuldige Kinder. „Unsere Krieger sind in die Schule eingedrungen“, sagte Taliban-Sprecher Muhammad Umar Khorasani. Die Gruppe setze sich aus „Mördern und Selbstmordattentätern“ zusammen. „Sie haben Instruktionen, die älteren Schüler zu töten. Armeeangehörige, aber nicht die Kinder.“ Doch von dieser Strategie sind die Terroristen offenbar schnell abgekommen.

Offenbar nutzten sie die Kinder als menschliche Schutzschilde, als die Sicherheitskräfte versuchten, die Schule zurückzuerobern. Als die Soldaten schließlich das Gebäude stürmten, fanden sie ein Blutbad vor. Die Verletzten wurden in das nahe gelegene Lady-Reading-Krankenhaus transportiert. „Es gab einen Schusswechsel an der ,Army Public School‘ in Peschawar“, sagte ein Armeesprecher zu dem Terrorangriff. „Unsere Truppen haben das Gebiet abgeriegelt und durchkämmen das Gelände nun nach den Militanten.“ Vier Straßenblocks wurden geräumt. Aus dem Schulgelände waren noch Stunden nach den ersten Schüssen heftige Explosionen zu hören.

Fünf der sechs Terroristen, gab Militärsprecher Asim Bajwa am Nachmittag bekannt, seien von den Sicherheitskräften getötet worden. Sondereinsatzkommandos war es zuvor gelungen, zwei Kinder und zwei Lehrer aus den Händen der Geiselnehmer zu befreien. Das Militär sicherte zunächst drei der vier Gebäudeblöcke; im letzten hatte sich um 17 Uhr immer noch einer der Täter mit zahlreichen Geiseln verschanzt.

Erneut waren danach Detonationen auf dem Schulgelände zu hören. Den Soldaten gelang es, den letzten Täter um 17.22 Uhr zu töten. Die Räumung der Schule erwies sich trotzdem als schwierig: Die Angreifer hatten überall auf dem Gelände Sprengfallen angebracht, um so viel Schaden wie möglich anzurichten. Die lange Warsak-Straße, die nördlich aus der Stadt hinausführt, war seit dem Mittag gesperrt. Die Terroristen hatten offenbar auch ein Fahrzeug auf der Straße in die Luft gejagt.

Die Schule ist eine der 146 landesweit vom Militär betriebenen öffentlichen Schulen und Colleges. Hier werden die Kinder von Armeeangehörigen und auch Zivilisten unterrichtet. Die Schüler sind zwischen zehn und 18 Jahren alt. Die Lehrerinnen sind oft Ehefrauen von Soldaten.

Der Anschlag war ein Vergeltungsschlag der Taliban gegen die Armee, die an der Grenze zu Afghanistan gerade eine Offensive gegen die Islamisten durchführt. Der Taliban-Sprecher sagte: „Das ist die Rache für Nordwaziristan.“

Der Informationsminister der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Shah Farman, erklärte, zwei Stunden nachdem die Taliban über die Mauer in die Schule eingedrungen waren: „Die Armee versucht ihr Bestes, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Die Operation ist noch im Gange.“

Und: „Es ist bedauerlich, dass Schulkinder zum Ziel gemacht werden. Wir brauchen ein einiges Land, und wir brauchen Gerechtigkeit.“ Premierminister Nawaz Scharif verurteilte den Terroranschlag. Er hatte kurz nach dem Angriff sämtliche zivilen und militärischen Sicherheitskräfte angewiesen, jeden Schüler in Sicherheit zu bringen: „Die Täter hinter diesem terroristischen Angriff dürfen nicht verschont werden, doch unsere erste Priorität ist die sichere Rettung der Kinder und der unschuldigen Menschen aus der Schule.“

Doch die Realität sieht anders aus. Die Zahl der Opfer wird wohl noch steigen, die Krankenhäuser in der Umgebung sind auf das Schlimmste vorbereitet. Inzwischen beschloss der Premierminister, selbst nach Peschawar zu fliegen. „Dies sind meine Kinder“, erklärte der Regierungschef vor seinem Abflug in den Nordwesten, „und es ist mein Verlust.“

Die pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai sagte, sie sei „untröstlich angesichts dieses sinnlosen und kaltblütigen Terroranschlags“. Die Tat sei „scheußlich und feige“. Die Reaktion von Regierung und Armee lobte die 17-Jährige als „verdienstvoll“. Malala war in der vergangenen Woche für ihr Engagement zugunsten der Schulbildung von Mädchen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Im Oktober 2012 hatte sie einen Anschlag der Taliban überlebt. Ihr wurde aus kurzer Distanz in den Kopf geschossen.