Experten befürchten, dass die Epidemie in Afrika eine höhere Zahl von Menschen das Leben kostete als in den Statistiken angegeben

Freetown. „Sie fanden eine grauenvolle Situation vor.“ So heißt es bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, die von einem Fund ihrer Spezialisten in Sierra Leone berichtet. In einem Krankenhaus im abgeschiedenen Osten des Landes hatten Experten Dutzende hoch ansteckende Ebola-Tote gefunden. Mit adäquaten Vorkehrungen waren die Leichen nicht gesichert worden.

Die Spezialisten begruben 87 Leichen. Der Fund nährt Befürchtungen, dass die Zahl der Ebola-Fälle in den betroffenen westafrikanischen Ländern weit höher sein könnte, als offizielle Statistiken nahelegen. Ärzte und Pfleger seien von der Flut der Erkrankungen schlicht überwältigt worden, heißt es. Internationale Hilfe fließe vor allem in die Großstädte, während ländliche Regionen alleingelassen würden. Doch auch auf dem Land erkranken und sterben noch immer Menschen.

Der an Guinea angrenzende diamantreiche Bezirk Kono, in dem nun die ungesicherten Leichname gefunden worden waren, hatte seit Ausbruch der Epidemie im März bislang nur 119 Ebola-Fälle gemeldet, so die WHO. Der Leiter des Seuchenbekämpfungszentrums von Sierra Leone sagte laut WHO, der Fund lege nahe, dass offizielle Statistiken nur die Spitze des Eisbergs zeigten. Aktuell hat die WHO 1853 Ebola-Tote in Sierra Leone registriert. In ganz Westafrika sind nach offiziellen Angaben mehr als 6500 Menschen gestorben. Experten warnen seit Langem, dass die Dunkelziffer hoch ist.

Dass die Ebola-Epidemie dazu geführt hat, dass in den Ländern eine Infrastruktur errichtet wird, um künftig besser mit ähnlichen Epidemien umgehen zu können, ist offenbar nicht der Fall. Eine weitere Ebola-Epidemie würde die Länder Westafrikas nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation genauso heftig treffen wie die derzeitige. Die Gesundheitssysteme in Liberia, Sierra Leone und Guinea müssten deutlich verbessert werden, sagte die WHO-Generaldirektorin Marie-Paule Kieny in Genf. Das werde ein mühsamer und kostspieliger Prozess. Erst in einigen Jahren könnten die Länder auf einen weiteren Ausbruch vorbereitet sein.

Wie sehr die Menschen in den betroffenen Regionen infolge der Epidemie leiden, zeigen neue Berichte aus Meliandou. Das Dorf gilt als Ursprungsort der Ebola-Epidemie. Im Dezember 2013 bekam der zwei Jahre alte Emile Ouamouno Fieber, übergab sich, hatte Blut im Stuhl – und starb nach zwei Tagen. Niemand wusste, woran er gestorben ist. Emile gilt heute als „Patient null“ – von ihm ausgehend, verbreitete sich das Ebola-Virus.

Noch rund 400 Menschen leben heute in Meliandou, vor einem Jahr waren es noch 600. Viele seien geflohen, weil sie glaubten, das Dorf sei verflucht, sagt Häuptling Amadou Kamano. Die Überlebenden sind traumatisiert und häufig auch pleite. Denn sie haben Geld für Behandlungen ihrer Angehörigen ausgegeben, was in der Regel nichts genützt hat. Für Bestattungen fehlte dann häufig weiteres Geld.

Der Vater von Emile Ouamouno hatte kein Geld, um für die Beisetzung zu bezahlen und die vielen Trauernden zu verköstigen, die aus anderen Dörfern zur Beisetzung kamen. So lieh er sich eineinhalb Säcke Reis, dazu 250.000 Francs (gut 28 Euro) und schlachtete seine letzte Ziege. Allein die Schulden zu bezahlen wird ihn etwa ein Jahr kosten, wie er sagt. Seine spärliche Habe wurde verbrannt, um weitere Ansteckungen zu verhindern. Es ist eine tragische Ironie, dass die Beisetzungen zugleich dazu beitrugen, dass sich die Krankheit weiter ausbreitete. Wenn Menschen gestorben sind, werden ihre Leichname traditionell von den Angehörigen gewaschen. Erst zu spät wurde bekannt, dass dies einer der Hauptübertragungswege für das Virus ist.