Wieder erschießt weißer Beamter einen Schwarzen. Demonstrationen gegen Rassismus

Washington. Amerika geht auf die Straße, nicht nur in New York, sondern auch in Washington, in Boston, Chicago, Los Angeles und anderen Metropolen des Landes. Auslöser ist nicht nur die Entscheidung einer Geschworenenjury, die es abgelehnt hatte, einen weißen Polizisten für den Tod eines schwarzen Verdächtigen anzuklagen. Den Demonstranten geht es auch um den Rassismus im Land und eine von vielen kritisierte Polizeigewalt, die in jüngster Zeit mehrere Opfer gefordert hatte. Allein in Manhattan protestierten mehr als 3000 Menschen. Sie legten teilweise den Verkehr lahm und skandierten „Gerechtigkeit jetzt“ und „auch schwarzes Leben zählt“. Mindestens 83 Personen wurden verhaftet.

Der aktuelle Protest richtet sich gegen den „Freispruch“ vom Mittwoch einer Grand Jury im Fall Eric Garner. Der als illegaler Zigarettenhändler verdächtigte 43 Jahre alte Mann war am 17. Juli nach einem Polizeieinsatz im New Yorker Stadtteil Staten Island ums Leben gekommen. Ein 29 Jahre alter Ermittler hatte den sechsfachen Familienvater bei seiner Verhaftung in einen Haltegriff genommen. Der übergewichtige und unter Asthma leidende Garner bekam keine Luft mehr und war kurz darauf an Herzversagen gestorben.

Ein Augenzeuge hatte die Szene mit seiner Handykamera in voller Länge gefilmt, darunter auch die letzten Worte des am Boden liegenden Garners: „Ich kann nicht atmen.“ Ein Satz, der mittlerweile zum Schlachtruf der Demonstranten geworden ist.

Doch trotz dieser Beweislage sah die Grand Jury nach neun Wochen Ermittlungen, bei denen sie 50 Zeugen hörte, „keinen hinreichenden Tatverdacht“ und lehnte eine Anklageerhebung gegen den Polizisten ab. Eine Entscheidung, die bei New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio und in der Hauptstadt Washington auf Unverständnis stieß. Das Justizministerium kündigte eine „schnelle und umfassende“ Untersuchung an. Indirekt kritisierte auch US-Präsident Barack Obama das Urteil. „Wenn jemand in diesem Land vom Gesetz anders behandelt wird als andere, dann ist das ein Problem.“

Die bisher ganz überwiegend friedlichen Proteste richten sich nur auf den ersten Blick gegen die jüngsten Entscheidungen von New York und Ferguson. Worum es vielen Demonstranten geht, sind der anhaltende Rassismus in Amerika und eine Polizeigewalt, die zu einem tiefen Misstrauen in der Bevölkerung, vor allem in der schwarzen Gemeinde, gegenüber der Staatsgewalt geführt hat. „Ich habe das Gefühl, dass wir uns in den vergangenen 50 Jahren nicht weiterentwickelt haben“, sagte einer der Demonstranten.

Ein neuer Fall aus Phoenix dürfte die Angst weiter schüren. Aus der Stadt wird von einem Fall berichtet, bei dem ein weißer Polizist einen schwarzen und unbewaffneten Mann nach einer Verkehrskontrolle erschossen hatte. Das 34 Jahre alte Opfer hatte nach einem Handgemenge offenbar seine Hand in die Hosentasche gesteckt. Der Beamte vermutete eine Waffe und eröffnete das Feuer. Wie sich später herausstellte, hatte das Opfer nur nach einer Packung Schmerztabletten gesucht.

Für neuen Zündstoff dürfte auch der jüngste Bericht des Justizministers Eric Holder über die Polizeibehörde von Cleveland sorgen. Dort hatte sein US-Ministerium insgesamt 600 Polizeieinsätze aus der Zeit von 2010 bis 2013 untersucht und war zu einem vernichtenden Urteil gekommen. Holder attestierte den Beamten „systematische Schwächen und eine schlechte Ausbildung der Einsatzkräfte“. Der Justizminister sprach auch von einem „Muster von unsinnigem und unnötigem Gewalteinsatz“. In Cleveland arbeiten 1551 Polizisten, 25 Prozent sind Afroamerikaner, 75 Prozent sind weiß.

Die ungewöhnlich deutliche Kritik von Holder kommt zwei Wochen nach der jüngsten Tragödie in Cleveland. Dabei hatte der Polizist Tim Loehmann einen Jungen erschossen. Der Zwölfjährige hatte mit einer Spielzeugwaffe hantiert. Das Video einer Überwachungskamera zeigte später, dass der 26 Jahre alte Polizist „innerhalb von zwei Sekunden“ nach seiner Ankunft am „Tatort“ das Feuer auf den Schwarzen eröffnet hatte. Erste Ermittlungen ergaben, dass Loehmann zwei Jahre zuvor von einer anderen Dienststelle gefeuert worden war. Seine Vorgesetzten attestierten ihm einen „gefährlichen Verlust an Selbstbeherrschung in Stresssituationen“. Loehmann hatte beim Schießtraining und in Einsätzen die Nerven verloren. Die Polizeibehörde in Cleveland musste inzwischen eingestehen, dass sie die Akte von Loehmann bei dessen Einstellung nicht gelesen hatte.