Ministerpräsident gibt „Unfall“ in Kernkraftwerk bekannt. Energieminister spricht dagegen von harmlosem Zwischenfall

Kiew. Es war ein Pannenstart für die Regierung der Ukraine, die erst wenige Stunden zuvor vom Parlament bestätigt worden war: Ministerpräsident Arseni Jazenjuk gab am Mittwochmittag bekannt, im Südosten des Landes habe sich ein „Atomunfall“ ereignet, in ersten Meldungen war gar von „unabsehbaren Folgen“ die Rede. Im Westen wuchs daraufhin zeitweise die Sorge vor einer möglichen neuen Atomkatastrophe wie 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl, das auf heute ukrainischem Gebiet liegt.

Energieminister Wladimir Demtschischin beschwichtigte jedoch schon kurz darauf bei einer Pressekonferenz, es habe sich im Atomkraftwerk Saporoschje um einen relativ harmlosen Zwischenfall gehandelt. „Nein, es gibt nichts Gefährliches“, sagte er in Kiew. Radioaktivität sei nicht freigesetzt worden, versicherte er. Das „Problem“ im leistungsstärksten Kernkraftwerk Europas, zu dem sechs Atomreaktoren mit je 1000 Megawatt Leistung gehören, sollte bis zu diesem Freitag beseitigt sein, fügte der Minister hinzu. Diese Angaben wurden indirekt von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) in Wien bestätigt. Es gebe keine Hinweise auf einen Atomunfall, hieß es dort. Ähnlich äußerte sich auch die Bundesregierung.

Der Defekt im dritten Reaktorblock von Saporoschje, angeblich ein Kurzschluss, hatte sich nach Angaben des Betreibers Energoatom bereits am 28. November ereignet. Die Kraftwerksleitung hatte die Behörden darüber am Tag darauf informiert. Erhöhte Radioaktivität sei nicht gemessen worden, hieß es. Energoatom teilte mit, der Defekt werde auf der internationalen Atom-Unfall-Skala mit „unter Null“ bewertet.

Jazenjuk hatte im Parlament den neu ernannten Energieminister Demtschischin mit Nachdruck aufgefordert, Aufklärung über die Störung zu geben. Der Energieminister solle Auskunft geben, welche Folgen der Defekt habe, sagte Jazenjuk. Er wies seinen Energieminister zudem an, mitzuteilen, wann die normale Energieversorgung wieder aufgenommen werde. Der Strom war laut Medienberichten nach dem Zwischenfall gedrosselt worden.

Erst am Vorabend hatte das Parlament in Kiew dem neuen prowestlichen Kabinett von Regierungschef Jazenjuk mit großer Mehrheit zugestimmt. Dieser kündigte „die radikalsten und energischsten Reformen“ an. 2015 werde „noch komplexer“ als das laufende Jahr, sagte der Ministerpräsident.

In der Obersten Rada stimmten 288 von 339 anwesenden Abgeordneten für das Kabinett einer Koalition aus fünf Parteien, von der sich die Ukraine mehr Stabilität erhofft. Die proeuropäischen Kräfte hatten die Parlamentswahl Ende Oktober klar gewonnen, sie besitzen im Parlament eine verfassungsändernde Mehrheit.

Dem neuen Kabinett gehören gleich drei Ausländer an, die kurz vor ihrer Ernennung im Eilverfahren eingebürgert wurden: Die US-Amerikanerin Natalia Jaresko, die früher zeitweise im US-Außenministerium tätig war, ist nun Finanzministerin, der Georgier Alexander Kwitaschwili ist für Gesundheit, der Litauer Aivaras Abromavicius für Wirtschaft zuständig.

Die drei neuen Minister erhielten per Erlass die Staatsbürgerschaft der ehemaligen Sowjetrepublik, wie das Büro von Präsident Petro Poroschenko in Kiew mitteilte. Angesichts der Notwendigkeit radikaler Reformen und der Bekämpfung der Korruption seien „unorthodoxe Entscheidungen“ nötig, hieß es.

Die Opposition kritisierte die Ernennung von Ausländern: Die Ukraine habe genug geeignete Bürger für die Schlüsselressorts, hieß es. Russische Medien hoben hervor, dass die drei „Ausländer in der ukrainischen Regierung“ im Land bisher völlig unbekannt gewesen seien.