Langfristig wird eine Mitgliedschaft im Bündnis nicht ausgeschlossen. Außenminister geben Russland Schuld an Krise

Brüssel. Die Nato gibt Russland die alleinige Schuld für die brüchige Waffenruhe in der Ukraine. „Die Ukraine hat sich ehrlich um die Einhaltung des Abkommens (von Minsk) bemüht, Russland und die Separatisten haben dies nicht getan“, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag bei einem Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel. „Wir fordern Russland auf, seine Verpflichtungen zu erfüllen.“

„Wir verurteilen scharf Russlands anhaltende und vorsätzliche Destabilisierung der Ostukraine“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Nato und der Ukraine. Russland liefere Panzer und anderes schweres Gerät an die Separatisten und breche damit internationales Recht. Heftige Kritik äußerte die Nato auch an russischen Plänen für eine Hochrüstung im Schwarzen Meer, die die Region weiter destabilisieren könnte.

Der bisher blockfreien Ukraine verspricht die Nato politische und praktische Unterstützung über Hilfsfonds und gemeinsame Projekte, mit denen unter anderem Kommandostrukturen, Logistik und Cyber-Abwehr vorangebracht werden sollen. Langfristig schließt Stoltenberg auch eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht aus.

Zu Meldungen über eine neue Waffenruhe in den Kampfgebieten Donezk und Lugansk nahm Stoltenberg zunächst nicht Stellung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, sollte sich die Waffenruhe bestätigen, wäre dies eine gute Nachricht. In Minsk waren Anfang September ein Waffenstillstand und eine Pufferzone für die zwischen der ukrainischen Regierung und prorussischen Separatisten umkämpften Gebiete vereinbart worden. Trotzdem wurde heftig weiter gekämpft. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier hielt sich mit einer Bewertung der Berichte über eine neue Waffenruhe zurück. Er mahnte dringend ein Ende der Kämpfe an, um den Weg für eine politische Bewältigung der Krise zu ebnen. „Wir sind leider insgesamt nicht so weit, wie wir gerne sein würden“, sagte der SPD-Politiker.

Drei Monate nach dem Gipfel von Wales treibt die Nato die Vorbereitungen für ihre neue Eingreiftruppe voran, die wegen der Spannungen mit Russland vor allem ein Zeichen der Unterstützung an die osteuropäischen Bündnispartner sein soll. Stoltenberg kündigte an, erste Einheiten der sogenannten Speerspitze sollten bereits „Anfang kommenden Jahres“ einsatzbereit sein. Deutschland kommt beim Aufbau der Truppe eine zentrale Rolle zu. Schon lange vor der Annexion der Krim und den Kämpfen in der Ostukraine verfügte die Nato über eine schnelle Eingreiftruppe. Diese Nato Response Force (NRF) wurde 2003 aufgestellt. Ihre Truppenteile bleiben ein Jahr in ständiger Bereitschaft. Teile der NRF wurden etwa 2004 zum Schutz der Olympischen Spiele in Athen eingesetzt. Kampfeinsätze gab es aber noch nie.

Bisher musste die Nato Response Force innerhalb von 30 Tagen weltweit einsatzbereit sein. Unter dem Eindruck der Ukraine-Krise beschlossen die Nato-Staats- und Regierungschefs Anfang September, diese Zeit für einen Teil der Eingreiftruppe auf „wenige Tage“ zu verkürzen. Ziel ist es, den Verband binnen zwei bis fünf Tagen vor Ort zu haben. Die Einheit solle „leicht reisen und hart zuschlagen, wenn nötig“, beschrieb der damalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die Idee.

Dazu wird innerhalb der NRF eine neue Einheit aufgebaut, die Very High Readyness Joint Task Force (VJTF – Deutsch: Gemeinsame Einsatztruppe mit sehr hohem Bereitschaftsgrad). Sie soll aus Landstreitkräften bestehen, denen auch Luft-, See- und Spezialkräfte zugeordnet werden. Derzeit wird mit rund 4000 Soldaten geplant.

Dass Deutschland beim Aufbau der Nato-Speerspitze eine exponierte Stellung erhält, ist Zufall. Das 1995 gegründete Deutsch-Niederländische Korps in Münster diente schon zwei Mal – 2005 und 2008 – als Nato-Bereitschaftstruppe nach dem alten Modell. Schon vor der Ukraine-Krise war klar, dass das Korps 2015 erneut an der Reihe sein wird und einen beträchtlichen Teil der Landstreitkräfte beisteuern wird.

Parallel mit der schnellen Eingreiftruppe hatte der Nato-Gipfel beschlossen, neue Stützpunkte mit Führungs- und Logistikexperten in Osteuropa einzurichten. Diese könnten in den drei Baltenstaaten sowie Polen, Rumänien und Bulgarien entstehen und würden die Speerspitze für Übungen oder auch im Ernstfall aufnehmen. Nato-Personal wird dort zu normalen Zeiten nur in geringem Maße stationiert. Dies hatte besonders Deutschland gefordert, das an der Nato-Russland-Grundakte festhalten will, die eine dauerhafte Truppenstationierung in Osteuropa untersagt.

Denkbar wäre aber, Waffen, Treibstoff, medizinische Einrichtung und sonstiges Material direkt in den Stützpunkten zu lagern, um die Stationierung der Eingreiftruppe tatsächlich so schnell wie möglich zu gewährleisten. Konkrete Pläne sollen möglichst bis zum Treffen der Nato-Verteidigungsminister im Februar beschlussreif sein. Nach der Testphase mit Deutschland soll die Speerspitze der Nato, Stoltenberg zufolge, dann ab 2016 voll einsatzbereit sein.