Gesetzentwurf über „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ widerspricht den Intentionen der Staatsgründer

Die Regierung Netanjahu hat einen Gesetzentwurf in die Knesset eingebracht, der Israel als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ definiert. Dieser Gesetzentwurf versucht, ähnliche Entwürfe zu bündeln, die von ultrakonservativen Parlamentariern bereits vorgelegt worden waren.

Mit diesem Gesetz wird der jüdische Charakter Israels gegenüber seiner demokratischen Grundlage deutlich aufgewertet. Staatspräsident Reuven Rivlin sieht das sehr kritisch: „Der Denkansatz dieses Gesetzes, das dem Jüdischsein Vorrang vor der Demokratie einräumt, geht an der großen Bedeutung der Unabhängigkeitserklärung vorbei. Die bindet diese beiden Elemente zusammen und trennt sie nicht.“ Natürlich wird man die Beratungen in der Knesset abzuwarten haben; schon die Kabinettsentscheidung ist nur mit Mehrheit zustande gekommen. Manche Vorstellungen wie die, dem Arabischen den Charakter einer offiziellen Landessprache zu nehmen, werden wohl so nicht Recht und Gesetz werden. Der Premierminister hat beteuert, am Prinzip gleicher individueller Rechte für alle Bürger festhalten zu wollen. Er rechtfertigt sein Vorgehen mit dem Umstand, dass nicht nur die Palästinenser den jüdischen Charakter des Staates Israel nicht anerkennen, sondern dass es auch „Opposition von innen“ gebe (womit wohl die arabischen Israelis gemeint sind).

All das aber geht am Kern des Problems vorbei.

Die Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahre 1948 spricht von einem „Jüdischen Staat“, aber einem „mit voller Gleichheit gesellschaftlicher und politischer Rechte aller seiner Einwohner, unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht“. Es geht also keineswegs nur um individuelle Rechte, die ohne eine entsprechende gesellschaftliche und politische Untermauerung das Papier nicht wert sind, auf dem man sie aufgeschrieben hat. Seit der Gründung des Staates also ist israelische Staatsräson auf dem Ideal der Demokratie und gleicher Rechte für alle seine Bürger aufgebaut. Zahlreiche Gesetzestexte und Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes haben diese Staatsräson seither bekräftigt und fortentwickelt.

Diese Grundlage soll nun nach dem Willen der israelischen Koalitionsmehrheit verlassen werden. Darüber dürfen auch keine Nebelkerzen hinwegtäuschen, wie sie aus dem rechten Regierungslager geworfen werden.

Dahinter steht auch nicht nur taktisches Kalkül, wie man Netanjahu gerne unterstellt. Nein, dahinter steht eine bestimmte Geisteshaltung, und der muss widersprochen werden. Sie ist schlichtweg fundamentalistisch. Sie ist fundamentalistisch, weil sie den Anspruch auf einen „Nationalstaat der Juden“ nicht aus dem Völkerrecht (beginnend mit der Uno-Entscheidung 1947), sondern aus Geschichte und der Thora herleitet. Sie muss am Ende in das einmünden, was Avi Primor einmal als „Bantustan“ beschrieben hat. Sie ist aber auch deshalb fundamentalistisch, weil sie religiöse Vorschriften über die Prinzipien eines demokratischen und von gegenseitigem Respekt geprägten Zusammenlebens zu stellen bereit ist. Tzipi Livni hat in diesem Zusammenhang bereits von der Gefahr einer „Theokratie“ gesprochen. Oder was sonst soll es bedeuten, wenn es in dem Gesetzentwurf heißt: „Das Jüdische Gesetz wird als eine der Inspirationsquellen für die Knesset dienen“? Wie steht es da zum Beispiel mit der Gewissensfreiheit derjenigen Abgeordneten, die nicht streng religiös gebunden, die Christen, Drusen oder Muslime sind?

Gewiss, es ist nicht immer leicht, die Balance zwischen dem jüdischen und dem demokratischen Charakter Israels zu halten. Über 66 Jahre hinweg ist aber dieser Kampf nicht ohne Erfolg gewesen, auch aus der Sicht vieler Araber nicht. Ihn jetzt aufzugeben und jüdischem Suprematismus die Tür einen Spalt weit zu öffnen ist für uns inakzeptabel. Deshalb halten wir diesen Gesetzentwurf für ein Armutszeugnis. Er wird nicht nur Israel schaden, sondern auch den Juden in aller Welt. Wir stimmen Schimon Peres aus vollem Herzen zu, der aus Anlass des Todestages von David Ben-Gurion gesagt hat: „Dieses Gesetz wird unser Land sowohl im Innern als auch draußen in der Welt schädigen; es wird die demokratischen Prinzipien des Staates Israel aushöhlen.“