Franziskus greift das brutale Vorgehen der IS-Miliz an und fordert bei seinem Türkei-Besuch einen Dialog zwischen Christen und Muslimen

Ankara. Ausgerechnet der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan war es, der den Papst nun endgültig in den Stand eines Weltpolitikers erhoben hat. Am Freitagnachmittag sagte Erdogan bei seinem Treffen mit Franziskus in Ankara, dieser Besuch sei „der erste Schritt zu einem neuen Friedensprozess“. Und Franziskus selbst wurde diesem Lob umgehend gerecht. Er griff den Terror des „Islamischen Staats“ (IS) im selbst ernannten Kalifat an und forderte die Verurteilung religiös gerechtfertigter Gewalt. Diese Art von Gewalt verdiene „die stärkste Verurteilung, denn der Allmächtige ist Gott des Lebens und des Friedens“, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche nach dem Treffen mit Mehmet Görmez, dem Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet. „Von allen, die behaupten, ihn anzubeten, erwartet die Welt, dass sie Männer und Frauen des Friedens sind.“

Man erlebe im Herrschaftsbereich des IS „die Verletzung der elementarsten humanitären Gesetze, was die Gefangenen und ganze ethnische Gruppen betrifft. Schwere Verfolgungen haben sich ereignet und geschehen noch immer zum Schaden von Minderheiten, besonders – aber nicht nur – der Christen und Jesiden.“ Hunderttausende Menschen seien gezwungen, ihre Häuser und ihre Heimat zu verlassen, „um das eigene Leben zu retten und ihrem eigenen Glauben treu zu bleiben“. Man dürfe unberechtigte Angreifer aufhalten, „im Einklang mit dem Völkerrecht“, aber eine Lösung „darf nicht allein einer militärischen Antwort überlassen werden“. Der Papst warnte auch vor der dauerhaft gespannten Lage in der gesamten Region: „Für wie lange Zeit muss der Nahe Osten noch aufgrund des fehlenden Friedens leiden? Wir dürfen uns nicht mit einer Fortsetzung der Konflikte abfinden, als ob nicht eine Änderung zum Besseren dieser Situation möglich wäre!“

Franziskus wurde als erster ausländischer Staatschef in dem neuen Präsidentenpalast, einem neo-osmanischen Bau mit 1000 Zimmern, in Ankara empfangen. Unbeeindruckt vom Prunk des Gastgebers erinnerte der 77-Jährige – auch im Beisein des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu – an die Bedeutung des Dialogs in dem Land, das er als „natürliche Brücke zwischen zwei Kontinenten und zwischen unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen“ bezeichnete. Ähnlich wie Erdogan zuvor sprach er in seiner Rede den interreligiösen Dialog an, eines der Hauptanliegen seiner Reise. Man müsse „Vorurteile und falsche Ängste“ überwinden. Ein Dialog sei notwendig, „der die Dinge vertieft, die uns verbinden“. Und es sei wichtig, dass „die muslimischen, jüdischen und christlichen Bürger – sowohl in den gesetzlichen Bestimmungen als auch in ihrer tatsächlichen Durchführung – die gleichen Rechte genießen und die gleichen Pflichten übernehmen“.

Der Papst sprach von der Bedeutung der Türkei für die Christen: „Diese Erde ist jedem Christen teuer, weil sich auf ihr die Geburt des heiligen Paulus zugetragen und weil Paulus hier verschiedene christliche Gemeinden gegründet hat; weil sie die ersten sieben Konzilien der Kirche beherbergt hat und weil hier nahe bei Ephesus, einer ehrwürdigen Tradition gemäß, das ‚Haus Marias‘ steht, der Ort, wo die Mutter Jesu für einige Jahre lebte, Ziel der Verehrung vieler Pilger von allen Enden der Welt, nicht nur Christen, sondern auch Muslime.“

Papst Franziskus war am Freitagmittag gegen 12.30 Uhr in Ankara mit einer Alitalia-Maschine gelandet und dort von Staatschef Erdogan empfangen worden. Schon während des Fluges hatte Franziskus gesagt, er danke der Türkei für die Aufnahme der zahlreichen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. Erster Termin war der Besuch am Grab von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk im gigantischen Atatürk-Mausoleum. Dort legte Franziskus ein Blumengesteck aus roten und weißen Rosen mit der Aufschrift „Pope Francis“ in einen goldenen Lorbeerkranz nieder.

Die türkischen Behörden haben ein gigantisches Sicherheitsaufgebot organisiert – mehr als 7000 Polizisten werden allein in Istanbul im Einsatz sein. Gebäude und Monumente, die der Papst besucht, sind weiträumig abgesperrt. Außerdem ist Franziskus ja bekanntermaßen für außerplanmäßige Überraschungen gut. Vatikansprecher Federico Lombardi hatte noch vor der Abreise erklärt, ein Treffen etwa mit Flüchtlingen aus Syrien sei zwar nicht geplant, könne aber nicht ausgeschlossen werden.

Der Besuch der Türkei ist die sechste Auslandsreise von Papst Franziskus. Sie steht in der Tradition seiner Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. „Es ist so üblich, dass ein Papst im zweiten Jahr seines Pontifikats nach Konstantinopel reist“, sagte der Ökumene-Minister des Vatikans, der Schweizer Kardinal Kurt Koch, vor der Abreise. Am Sonnabend reist Franziskus in das heutige Istanbul weiter, wo er die Hagia Sophia und die Blaue Moschee besuchen, eine Messe in der Heilig-Geist-Kathedrale feiern und am Gebet in der orthodoxen Patriarchalkirche Sankt Georg teilnehmen wird. Die Zeichen für eine Verbesserung der Beziehungen von römisch-katholischer und orthodoxer Kirche stehen gut: Papst und Patriarch treffen sich nun in Ankara bereits zum vierten Mal. Bartholomäus war zu Franziskus’ Amtseinführung nach Rom gekommen, eine Premiere seit dem Schisma vor knapp 1000 Jahren. Dann kamen sie in Jerusalem während der Reise von Franziskus ins Heilige Land erneut zusammen, und schließlich kam der Patriarch noch einmal im Juni zu einem Friedensgebet in die Vatikanischen Gärten.