Geheimdienstler warnen: Viele Islamisten kehren nun aus Syrien und dem Irak zurück und könnten Anschläge hierzulande planen

Berlin. In Syrien und im Irak sind inzwischen mindestens 60 deutsche Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) getötet worden. Neun von ihnen starben bei Selbstmordanschlägen, wie Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen der „Welt am Sonntag“ sagte. Mittlerweise seien mindestens 550 Islamisten aus Deutschland ins Kampfgebiet gereist. Anschläge drohten aber auch hierzulande. „Es besteht eine gewisse Gefahr“, warnte er. Im Irak und in Syrien beherrschen die sunnitischen Dschihadisten weite Landstriche und terrorisieren in ihrem selbst ausgerufenen Kalifat Minderheiten und Andersgläubige. Ihre Streitmacht wird auf Zehntausende von Kämpfern geschätzt.

Verfassungsschutzchef Maaßen warnte, inzwischen seien mindestens 180 IS-Kämpfer nach Deutschland zurückgekehrt. Die Behörden behielten sie im Blick, könnten sie aber nicht rund um die Uhr bewachen. Der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, sagte: „Da laufen tickende Zeitbomben durch die Gegend.“ Die rasant gestiegene Zahl gefährlicher Islamisten hierzulande überfordere die Sicherheitsbehörden. „Für die 24-Stunden-Überwachung eines Gefährders brauchen wir 25 Kollegen. Das ist illusorisch, dazu sind wir nicht in der Lage“, sagte Plickert.

Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß sagte dem „Spiegel“, Terrorgefahr gehe auch von Islamisten aus, die für den „Islamischen Staat“ (IS) kämpfen wollen, aber von der Polizei an der Ausreise gehindert werden. Beispiele gebe es aus Kanada und Australien. Schlussfolgerung: „Wir müssen auch die Islamisten weiter in unseren Fokus nehmen, die im Ausland kämpfen wollen, aber ihr Ziel nicht erreicht haben.“ Das Thema werde auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz am 12. Dezember in Köln stehen. Erst am Freitag hatte Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) berichtet, die deutschen Behörden hätten rund 230 sogenannte Gefährder im Visier. „Das sind Menschen, von denen nicht auszuschließen oder sogar wahrscheinlich ist, dass sie einen Anschlag planen. Mit Umfeld reden wir dann über 1000 Leute.“

Die britische Polizei hat in diesem Jahr mindestens fünf Terroranschläge vereitelt. Das sagte der Vorsitzende der Londoner Polizei, Bernard HoganHowe, dem Sender BBC. Normalerweise würden die Behörden pro Jahr einen Fall aufdecken. Die Polizei sei auch besorgt darüber, dass die Möglichkeit eines Angriffs eines Einzelgängers steige. Wenn man sich dem entgegenstellen wollte, müssten mehr Ressourcen aufgewendet werden, weil die Polizei schnell reagieren müsse, sagte er.

Kurdische Peschmerga-Kämpfer brachten am Sonntag die IS-Einheiten im Irak weiter in Bedrängnis und rückten im nördlich gelegenen Dschalaula ein. Dabei befreiten sie nach Angaben der kurdischen Nachrichtenseite Rudaw einen Großteil der vom IS kontrollierten Stadt. Auch ein nahe gelegenes Militärlager sei zurückerobert worden, berichtete die Nachrichtenseite Al-Sumaria News. IS-Dschihadisten hatten Dschalaula Anfang August erobert. Nach Medienberichten sind sie nun auf dem Rückzug.

Bei den internationalen Luftangriffen gegen die Extremisten in Syrien sind seit ihrem Beginn Ende September mehr als 900 Menschen getötet worden. Wie die oppositionsnahen syrischen Menschenrechtsbeobachter erklärten, waren darunter 785 meist ausländische Anhänger der IS-Miliz und 72 Kämpfer der al-Qaida-nahen Al-Nusra-Front. Getötet wurden demnach auch 52 kurdische Kämpfer oder Zivilisten. Im Bürgerkrieg in Syrien, der seit fast vier Jahren anhält, wurden nach Schätzungen der Vereinten Nationen rund 200.000 Menschen getötet, Millionen Syrer sind auf der Flucht.

US-Vizepräsident Joe Biden ist in Istanbul mit dem Versuch gescheitert, die Türkei enger in den Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak einzubeziehen. Auch nach einem vierstündigen Gespräch konnten Biden und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan keinen Durchbruch verkünden. Es sei „die ganze Bandbreite der Optionen“ besprochen worden, sagte Biden anschließend. Erdogan seinerseits sprach von „detaillierten Diskussionen“. Beide Politiker ließen aber keinerlei Nachfragen zum genauen Inhalt ihres Gespräches zu.

Die USA wollen erreichen, dass sich Ankara militärisch am Kampf gegen die IS-Extremisten in Syrien und im Irak beteiligt. Dies lehnt die Türkei ab, sie fordert als Bedingung für ein direktes Eingreifen eine entmilitarisierte Zone an der Grenze zu Syrien. Bei den Gesprächen von Biden und Erdogan dürfte es unter anderem auch um die Nutzung der türkischen Militärbasis Incirlik gegangen sein. Bislang verweigert die Türkei der US-Armee, von dort aus Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak und in Syrien zu starten.

Die USA kündigten am Rande des Biden-Besuches an, dass sie ihre humanitäre Hilfe für die Menschen in Syrien um 135 Millionen Dollar (109 Millionen Euro) aufstocken wollen. Ein Teil des Geldes solle in die Türkei gehen, wo viele Flüchtlinge aus dem Nachbarland Zuflucht gefunden haben. „Die Türkei trägt eine große humanitäre Last“, sagte Biden.