Beim G20-Gipfel in Australien spricht Angela Merkel über die Ukraine-Krise. Vorher tauschte sie Nasenküsse mit einem Maori

Auckland/Brisbane. Bei der Willkommenszeremonie der Maori nützt es Angela Merkel gar nichts, dass sie als mächtigste Frau der Welt gilt. Sie ist nach der Tradition der Ureinwohner Neuseelands eben eine Frau, und Frauen dürfen danach keine Anführerinnen sein. Deshalb ist es Merkel beim Begrüßungsritual in der Hauptstadt Auckland untersagt, die ihr als Friedensangebot zu Füßen gelegte Waffe aufzuheben.

14 Männer in Baströckchen und mit nacktem Oberkörper nähern sich ihr mit Geschrei und schneiden Furcht einflößende Grimassen. Acht Frauen in blau-weißen Gewändern singen dazu. Haka – ein Kriegstanz. Es geht symbolisch um die Abwehr von Eindringlingen, die mit Kanus stranden. Merkels Miene ist ernst. Ein Krieger legt eine Speerspitze auf den Boden. Die Bundeskanzlerin macht jetzt ihren Sprecher Steffen Seibert zum Anführer. Er hebt die Waffe auf. Es gibt einen Hongi – einen Nasenkuss. Nur für Merkel. Der Frieden ist gesichert.

Die Realität vor Neuseelands Haustür wirkt am Freitag weniger friedlich. Der im Westen wegen der Ukraine-Krise zunehmend isolierte russische Präsident Wladimir Putin hat ein paar Kriegsschiffe seiner Pazifikflotte Richtung Australien geschickt. Außerhalb des australischen Hoheitsgebiets und im Einklang mit internationalen Gesetze – aber als kleine Machtdemonstration zum Gipfel der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt (G20) am Wochenende in Brisbane an der australischen Ostküste. Unsinnige Muskelspiele seien das, empörten sich die Gastgeber über Russlands Militärpräsenz draußen vor der Küste. Doch der gerade vom US-Magazin „Forbes“ erneut zum „mächtigsten Mann der Welt“ gekürte Russe liebt solche Auftritte.

Gastgeber Tony Abbott hätte Putin wegen des Ukraine-Konflikts gern ausgeladen. Abbott gibt dem Russen die Schuld am Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17 im Konfliktgebiet Ostukraine im Juli. Unter den 298 Opfern waren auch 38 Australier. Und überhaupt sieht Abbott im Ukraine-Konflikt Putin als „Aggressor“.

Am Kremlchef prallen solche Vorwürfe ab. Er reist an, und es dürfte in Brisbane zu einem persönlichen Gespräch mit Merkel kommen. „Wir haben ein Treffen geplant“, sagte Putin in einem am Freitag veröffentlichten Interview der russischen Staatsagentur Tass. Merkel hatte auf dem Weg nach Neuseeland und Australien gesagt, dass sie ein Treffen mit Putin angesichts des Ukraine-Konflikts nicht ausschließe. Der Westen wirft Russland vor, die Separatisten mit Militär und Personal auszurüsten.

Putin sagte in dem Interview, er gehe nicht davon aus, dass seine persönliche Beziehung zu Merkel unter dem Ukraine-Konflikt gelitten habe. „Wir lassen uns von Interessen leiten und nicht von Sympathie oder Antipathie“, sagte der Kremlchef. Er verstehe Merkel gut. „Auch sie lässt sich von Interessen leiten, wie jede Regierung. Ich sehe deshalb keine wesentliche Veränderung in unserem Verhältnis.“

Putin kritisierte erneut die westlichen Sanktionen gegen Russland in der Ukraine-Krise. „Das widerspricht dem Prinzip der G20, der WTO und dem Völkerrecht.“ Die Strafmaßnahmen würden wie ein Bumerang auch die EU und die USA treffen. Er werde in Brisbane nicht um eine Aufhebung der Sanktionen bitten. „Das wäre vergeblich.“

Der Führung in Washington warf Russlands Präsident vor, Beschlüsse der G20 immer wieder zu ignorieren. So verhinderten die USA seit Jahren eine Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF). „Aber das bedeutet nicht, dass G20 ein überflüssiges Format ist“, sagte Putin. Er dürfte in Brisbane zwar kaum neue Konfrontationen suchen. Er wird sie jedoch nicht scheuen. Bei einem Treffen mit Frankreichs Präsidenten François Hollande will der Kremlchef über die offene Lieferung des Hubschrauberträgers der Mistral-Klasse an Russland sprechen. Den Franzosen droht eine milliardenschwere Vertragsstrafe, sollten sie das fertige Kriegsschiff nicht liefern. US-Präsident Barack Obama hatte mit Blick auf den Ukraine-Konflikt stets davor gewarnt, den Russen einen zusätzlichen militärischen Vorteil zu verschaffen. Putin und Obama treffen nach dem Asien-Pazifik-Gipfel (Apec) in Peking bereits zum zweiten Mal in dieser Woche aufeinander, ein bilaterales Gespräch aber ist wieder nicht geplant.

Der Kremlchef könnte die Bühne nutzen, um einmal mehr gegen die USA und andere Nato-Staaten auszuteilen. Auf Manöver der Verteidigungsallianz in Osteuropa reagierte Russland zuletzt scharf – mit Tests von atomar bestückbaren Interkontinentalraketen und Dauerflügen von Langstreckenbombern. Eine Aussicht auf Entspannung in dieser schwersten Krise zwischen Moskau und Washington seit Ende des Kalten Krieges gibt es nicht.

Vielmehr könne sich der Konflikt noch deutlich verschärfen, meint der Politologe Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Center. Er sprach unlängst sogar von der Gefahr eines Krieges der Nato mit Russland. „Der Kalte Krieg blieb letztlich kalt, aber es gibt keine Garantie, dass er diesmal nicht heiß wird“, sagte Trenin. In Brisbane – mehr als 10.000 Kilometer von der Ukraine entfernt – wird deutlich, dass der Konflikt längst globale Ausmaße hat.