Enttäuschung in Russland darüber, was das Ende des Kalten Krieges brachte

Moskau. Und plötzlich wurde Michail Gorbatschow in Russland wieder zum Helden. Der erste und letzte sowjetische Präsident wird in seiner Heimat von einem Großteil der Gesellschaft viel kritischer als im Westen betrachtet und für den Zerfall der Sowjetunion verantwortlich gemacht. Als er vor einigen Jahren die Innenpolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisierte, war davon bei den großen Fernsehsendern nicht viel zu sehen. Sein jüngster Auftritt in Berlin dagegen sorgte für eine große mediale Aufmerksamkeit in Russland. Denn diesmal sprach er das, was der Kreml und viele Russen gerne hören wollen.

„Die Welt ist an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg. Manche sagen, er hat schon begonnen“, erklärte Gorbatschow beim Feiern zum 25. Jubiläum des Mauerfalls. In den vergangenen Monaten habe sich ein „Zusammenbruch des Vertrauens“ vollzogen, sagte er in Hinblick auf den Ukraine-Konflikt. Auf einmal verteidigte er die Politik von Putin und forderte die Aufhebung von gegenseitigen Sanktionen zwischen Russland und dem Westen.

In Gorbatschows Worten war eine Enttäuschung und Kränkung zu hören, ein Gefühl, das ihn schon lange begleitet. 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und fast 30 Jahre nach dem Beginn der Perestroika sieht Russland ganz anders aus, als er sich das in der besten Zeit seiner politischen Karriere vorstellte. Seine Politik des „neuen Denkens“ in internationalen Beziehungen und der Umgestaltung der Sowjetunion führte in der Ex-UdSSR zu anderen Folgen als etwa in den Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes. Während in Osteuropa die demokratische Wende möglich war und die Spaltung Europas überwunden wurde, entstanden in der ehemaligen Sowjetunion neue autoritäre Regime und Diktaturen. Neue Kriege wurden geführt, zuletzt vor sechs Jahren in Georgien und jetzt in der Ukraine. Und die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind auf dem tiefsten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges. Für die Entwicklungen in Russland machte Gorbatschow seinen Nachfolger Boris Jelzin verantwortlich, er griff ihn in seinen jüngst erschienenen Memoiren scharf an. Für die außenpolitischen Veränderungen kritisiert er jetzt den Westen und vor allem die USA.

Der Westen habe seine Versprechen nach der Wende von 1989 nicht eingehalten und sich stattdessen zum Sieger des Kalten Krieges erklärt, sagte Gorbatschow in Berlin. Den westlichen Politikern seien Euphorie und Triumphalismus zu Kopfe gestiegen. Schon in den 90ern habe man begonnen, das Vertrauen Russlands zu untergraben. Als Beispiel dafür nannte der ehemalige sowjetische Staatschef „die Nato-Erweiterung, Jugoslawien und vor allem das Kosovo, Raketenabwehrpläne, Irak, Libyen, Syrien“. Der Westen habe Russlands Schwäche ausgenutzt. Das ist eine Sicht, die von einem Großteil der russischen Gesellschaft gerade geteilt wird.