Russische Rechtsaußen marschieren wie traditionell am 4. November durch Moskau. Doch die Ukraine-Politik Putins spaltet die Bewegung

Moskau. Wie jedes Jahr werden am 4. November im Moskauer Randbezirk Ljublino fremdenfeindliche Parolen gerufen. „Moskau ist nicht der Kaukasus“ und „Schlage Juden – rette Russland!“, schreien Jugendliche. Russische Nationalisten versammeln sich hier traditionell am „Tag der Volkseinheit“ und ziehen in einem „Russischen Marsch“ an den örtlichen Plattenbauten vorbei. Doch in diesem Jahr kamen deutlich weniger Teilnehmer als sonst – nach Angaben der Polizei rund 2000 Menschen. Die Ukraine-Krise hat die Nationalisten-Szene in Russland gespaltet und geschwächt.

In Ljublino wehen hier und da einzelne Fahnen von „Noworossija“ – Neurussland. So nannte der russische Präsident Wladimir Putin im Frühjahr die südöstlichen Regionen der Ukraine, die in der Zarenzeit zum russischen Imperium gehörten. Die sowjetische Regierung habe diese Gebiete in den 20er-Jahren an die Ukraine gegeben, sagte Putin – „warum, das weiß nur Gott“. Jetzt behauptet die russische Propaganda, Moskau verteidige Interessen von ethnischen Russen in diesen Gebieten. Putin sprach nach der Krim-Annexion von der „russischen Welt“ und den geistlichen Grundlagen, die das russische, ukrainische und weißrussische Volk vereinigen. Diese Ideen kommen bei vielen Nationalisten gut an. Unter den pro-russischen Separatisten in den ukrainischen Gebieten Donezk und Lugansk kämpfen seit dem Frühjahr auch einige russische Nationalisten, die früher in der Opposition zu Putin waren. Er galt vielen Nationalisten als „Verräter Russlands“, der das Land durch ein korruptes Staatssystem zerstört. Heute wird Putin hingegen von einem Teil der Bewegung als Patriot betrachtet.

Anatolij Obroskow trägt in Ljublino neben der schwarz-weiß-gelben Zarenfahne aus dem 19. Jahrhundert die Fahne der „Volksrepublik Donezk“ mit dem Doppeladler. „Ich bin hergekommen, um die Einigkeit der russischen Welt zu unterstützen“, sagt er. Die „Volksrepubliken“ in der Ostukraine sollten seiner Meinung nach unabhängige Staaten werden. Die Ukraine-Krise habe seine Sicht auf Putin verändert, sagt der Nationalist aus Sankt Petersburg. „Die Wiedervereinigung mit der Krim hat gezeigt, dass Putin sich endlich der russischen Frage zuwendet. Patrioten im Kreml können sich auf die patriotische Mehrheit stützen.“ Jetzt wünscht sich Obroskow, dass Russland in der Ostukraine entschiedener agiert und die Gebiete an Russland anschließt.

Gleich neben Noworossija-Fahnen werden aber auch Plakate gegen die russische Ukraine-Politik hochgehalten. „Russen sind gegen den Krieg in der Ukraine“, steht etwa auf einem Banner. Dahinter versammeln sich Menschen unter roten Fahnen mit slawischen Sonnensymbolen. „Wir sind gegen den Bruderkrieg, in dem Russen andere Russen töten“, sagt Dmitri Mytnikow. Aus seiner Sicht ist die Ukraine ein Teil Russlands, die Ukrainer sind in Wahrheit Russen. Aber den Krieg im Interesse Putins unterstütze er nicht. Während einige Vereinigungen von Kosaken in der Ostukraine kämpfen, sind andere Kosaken auf dem „Russischen Marsch“ gegen den Krieg. Denis Mowtschan trägt die Tarnuniform mit Ärmelstreifen der Kosakenarmee von Don. Doch er würde nicht auf die Idee kommen, sich den Freischärlern in der Ukraine anzuschließen. „Es sind Juden, die den Krieg in der Ukraine angezettelt haben“, erklärt der 36-Jährige. Auch Putin sei ein Jude und ein echter Kosake diene sowieso nicht einem Präsidenten, sondern nur dem Zaren.

Ebenfalls am Dienstag marschierten Nationalisten im Norden Moskaus. Hier versammelten sich nur die Anhänger von Noworossija. Die Veranstalter hatten angekündigt, dass Igor Girkin-Strelkow, ehemaliger Geheimdienstler und früherer Kommandant der Rebellen in Donezk, am „Marsch für Neurussland“ teilnehmen soll. Doch im letzten Moment hat Girkin seine Teilnahme abgesagt – aus Angst, dass die Ideen von Noworossija mit oppositionellen Ideen vermischt werden.

Von der Spaltung der nationalistischen Szene profitiert der Kreml. Einer der Anführer der russischen Nationalisten, Dmitri Djomuschkin von der Bewegung „Russen“, die in Opposition zu Putin steht, hatte vor dem Marsch erklärt, der Geheimdienst FSB habe ihn gebeten, in diesem Jahr angesichts der Lage in der Ukraine keinen „Russischen Marsch“ in Moskau zu veranstalten. Nationalistische Bewegungen, die die Ukraine-Politik Putins nicht unterstützen, weil sie ihnen nicht weit genug geht oder weil sie keinen Krieg mit der Ukraine wollen, sind ein Risiko für den Kreml. Sie sind nicht selten zu radikalen Handlungen bereit. Im vergangenen Jahr mündete die Wut gegen Migranten mehrfach in gewaltsamen Ausschreitungen in Moskau und in der Provinz.