Hamburger OSZE-Beobachter kritisiert illegalen Kauf von Mandaten durch Oligarchen, lobt aber ansonsten den Ablauf. Volk hofft auf neue Partei

Hamburg/Kiew. Es ist nur eine von vielen Nachrichten an diesem Tag nach der Parlamentswahl in der Ukraine: In der Nähe des Dorfes Smile in der Region Donbass starben zwei Soldaten der ukrainischen Armee in Gefechten mit den prorussischen Rebellen. Ob auch Rebellen starben, ist unklar. Die Wahl in der Ukraine stärkte die proeuropäischen Kräfte um Präsident Petro Poroschenko und Regierungschef Arsenij Jazenjuk, Rechtsextremisten und Kommunisten erreichten nur wenige Stimmen. Und sogar Russlands Außenminister erkennt die Wahlen an.

Und doch steckt das Land mitten in einem Krieg. Das zeigt die Nachricht über die Toten in der Ostukraine auch am Tag nach der Wahl. Fünf Millionen von 36 Millionen Wahlberechtigten konnten nicht abstimmen, weil sie auf der Krim oder in den „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk leben.

Doch im übrigen Land erreichte die Beteiligung mit rund 70 Prozent einen Rekord seit der Unabhängigkeit 1991. Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke war als Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Kiew und besuchte am Sonntag 17 Wahllokale. „Der demokratische Ablauf der Wahlen vor Ort war einwandfrei“, sagte Klimke dem Hamburger Abendblatt. Viele junge Menschen hätten sich als Wahlhelfer engagiert, das Gros waren Frauen. „Das zeigt, wie sehr sich die Ukrainer einsetzen für den Aufbruch in ein demokratisches Land.“

Dennoch kritisierte Klimke, dass einzelne Mandate für das Parlament durch Oligarchen gekauft worden seien. Dies hätten sowohl Recherchen der OSZE als auch Medienberichte ergeben. Klimke übt auch Kritik an den ukrainischen Staatsmedien. Die Berichterstattung vor der Wahl sei zu sehr auf Präsident Poroschenko und dessen Partei ausgerichtet gewesen. Anderen Kandidaten sei wenig Platz eingeräumt worden. Wie Klimke zeigt sich auch der europapolitische Sprecher der Grünen und Hamburger Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin erfreut über das schlechte Abschneiden von rechtsextremistischen Parteien. „Die Menschen in der Ukraine haben mit der Wahl den radikalen Kräften eine Absage erteilt. All das Gerede davon, dass die Ukraine in einen neuen Nationalismus abrutscht, sind haltlos“, sagte Sarrazin dem Abendblatt. Es müsse nun vor allem darum gehen, die Korruption zu bekämpfen. Und der prowestliche Kurs müsse aufrechterhalten werden.

Nach der Wahl am Sonntag streben die Parteien von Präsident Poroschenko und die Volksfront von Regierungschef Jazenjuk eine Koalition an. Erste Gespräche gab es bereits. Denn nach der Auszählung der Hälfte der Stimmen festigte das prowestliche Lager seine Führung. Die Volksfront und der Poroschenko-Block lagen nach Angaben der Wahlkommission mit jeweils mehr als 21 Prozent in Führung. Unklar war zunächst, ob die rechte Partei Swoboda den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hat.

Auch die Partei Samopomitsch (Selbsthilfe) des Lwiwer Bürgermeisters Andriy Sadowyi strebt in das prowestliche Regierungsbündnis. Dass die neue politische Gruppierung bei der Parlamentswahl auf Anhieb mehr als zehn Prozent erhielt, ist eine Überraschung. Erst seit 2012 gibt es die westukrainische Partei. Viele Kulturschaffende, Unternehmer und Journalisten engagieren sich in dem Bündnis. Samopomitsch ist ursprünglich eine Bürgerrechtsgruppe in Lwiw. Vor allem aus dieser Geschichte zieht die nun gegründete Partei ihr politisches Vertrauen. Denn vielen Ukrainern gilt Samopomitsch als unabhängig und politisch nicht beeinflusst durch Oligarchen.

Und so setzen viele Ukrainer ihre Hoffnung auf die neue Partei. Nicht nur in Lwiw wurde Samopomitsch zur stärksten Partei, sondern auch in der Hauptstadt Kiew. Doch der beliebte Bürgermeister von Lwiw, Sadowyi, strebt selbst keinen Sitz im Parlament an. Er hatte schon vor der Wahl in der Partei den Weg frei gemacht für prominente Bürgerrechtler, Journalisten und auch Soldaten der Freiwilligenbataillone, die in der Ostukraine gegen prorussische Rebellen kämpfen – darunter Jegor Sobolew und Hanna Gopko. Beide organisierten im Herbst 2013 die Proteste gegen die prorussische Regierung des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch auf dem Maidan in Kiew. Sie konnten zu Beginn der Demonstrationen auch viele junge Ukrainer gegen das alte Regime mobilisieren. Erst durch die Proteste auf dem Maidan wurde Janukowitsch gestürzt.

Samopomitsch hat sich nun vor allem den Kampf gegen Korruption und die Reform des Verwaltungsapparates auf die Fahne geschrieben hat. Die Partei steht laut Wahlprogramm für einen proeuropäischen Kurs und für christliche Werte, wie viele Menschen im Westen der Ukraine. Vor allem für ein besseres Bildungssystem wollen sich Sadowyi, Gopko und Sobolew künftig starkmachen. Die Partei finanziere sich vor allem über Kleinspender, sagte Spitzenkandidatin Gopko. Viele Unternehmer in Lwiw hätten der Organisation Geld überwiesen, um die Ziele von Samopomitsch zu unterstützen. Eine Liste mit Spendern ist nicht öffentlich.

Auch der Kiewer Politikwissenschaftler Maxim Rozumny sieht in Samopomitsch eine Alternative in der Parteienlandschaft. „Das konkrete Wahlprogramm, vor allem ihr Einsatz für ein dezentral regiertes Land und regionale Entwicklung der Ukraine, sind ein Pluspunkt, der viele Wähler angesprochen hat“, sagte Rozumny dem Abendblatt. Samopomitsch geht es aber nicht um eine föderale Ukraine oder gar eine unabhängige Ostukraine. Vielmehr steht wirtschaftliche und rechtliche Autonomie der starken Regionen von der Zentralregierung in Kiew im Fokus.

Bleibt die Ukraine ein geteiltes Land? Wie sehr streben Osten und Westen auseinander? Diese Fragen bleiben auch nach der Wahl prägend für eine neue Regierung und Präsident Poroschenko. Russland etabliere mit seiner Hilfe an die prorussischen Rebellen einen Status quo, aus dem sich die Ukraine immer schwieriger befreien könne, sagt Grünen-Experte Sarrazin. Laut CDU-Politiker Klimke habe die Regierung in Kiew gar die von Russland völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim bereits politisch aufgegeben. „Nun geht es noch darum, die Ostukraine nicht an Russland zu verlieren. Das wird eine zentrale Herausforderung einer neuen Regierung in Kiew.“