Luftschläge gegen die IS ohne Bodentruppen sind wenig wirksam. In Washington herrscht Ratlosigkeit

Washington. Das herzzerreißende Drama in der syrisch-kurdischen Grenzstadt Kobane offenbart die Schwächen von Präsident Barack Obamas Anti-IS-Strategie sehr viel schneller, als man in Washington offenbar gedacht hatte. „Luftschläge werden die Stadt Kobane nicht retten. Wir wissen das“, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby sichtlich frustriert. „Wir müssen uns innerlich auf die Möglichkeit vorbereiten, dass Kobane fallen könnte.“ Kirby machte auch deutlich, was das Problem beim Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien ist: die fehlenden Bodentruppen. „Wir haben keinen willigen, fähigen und effektiven Partner auf dem Boden in Syrien im Moment.“

So viel offensichtliche Ratlosigkeit hört man selten von einem amerikanischen Offiziellen. Zumal das Weiße Haus am selben Tag ähnliche Töne anstimmte. „Es gibt Grenzen dessen, was man mit dem ausschließlichen Gebrauch von Luftschlägen erreichen kann“, sagte Barack Obamas Sprecher Josh Earnest. „Unsere Strategie beruht auf etwas, was es noch nicht gibt, eine syrische Opposition, die IS angreifen kann.“ Nach einem Treffen mit seinen Top-Generälen im Pentagon mahnte der Präsident denn auch Geduld an. „Wie ich von Anfang an gesagt habe, werden wir das nicht über Nacht lösen können.“ Allerdings musste das Verteidigungsministerium eingestehen, dass man mit der Überprüfung der möglichen Partner in Syrien und ihrem Aufbau noch gar nicht angefangen habe. Erst in drei bis fünf Monaten soll das Training von syrischen Oppositionskräften anlaufen. Bis diese Truppe steht, muss man sich wohl auf noch mehr Kobanes einstellen. „Es wird auch weiterhin Dörfer, Städtchen und Städte geben, die sie einnehmen werden“, sagte Pentagon-Sprecher Kirby. „Wir alle müssen diese Realität anerkennen.“

All diese Äußerungen zusammengenommen kommen einem Eingeständnis sehr nahe, dass die Strategie des Präsidenten nicht funktioniert. Zumindest derzeit noch nicht. Von Anfang an hatte es offensichtlich Meinungsverschiedenheiten gegeben zwischen der militärischen und der politischen Führung, was nötig sein würde, um IS wirksam zu bekämpfen. Bei der Verkündigung seiner neuen Strategie hatte Obama zunächst ausgeschlossen, Bodentruppen einzusetzen. Das war von Generalstabschef Martin Dempsey bei einer Kongressanhörung Mitte September dann aber mit einem Fragezeichen versehen worden. Wenn sichtbar würde, dass die gegenwärtige Anti-IS-Koalition nicht in der Lage sei, die Terroristen zurückzudrängen, dann werde er dem Präsidenten raten, „dass Militärberater sich am Kampf gegen den IS beteiligen“ oder „weitere Maßnahmen, die Bodentruppen beinhalten“, sagte Dempsey damals. Eine Äußerung, die danach vom Weißen Haus wieder eingefangen wurde.

In Kobane wurden nun erstmals die tödlichen Folgen dieser amerikanischen Selbstbeschränkung sichtbar. Ohne eine sehr effektive Aufklärung am Boden, ohne Spezialkräfte vor Ort, die Ziele für Luftangriffe markieren und das amerikanische Vorgehen mit den lokalen Partnern – in diesem Fall den kurdischen Verteidigern der Stadt – koordinieren können, ist es sehr schwierig, allein mit Luftüberlegenheit entscheidende Erfolge zu erzielen. Mit der von Obama gewollten „Fernsteuerungsstrategie“ machen sich die Amerikaner auch abhängig von anderen Akteuren, die vor Ort den Kampf am Boden voranbringen könnten. Im Falle Kobanes hatte es offenbar die Hoffnung gegeben, die Türkei habe wegen der Nähe zur Grenze ein Interesse daran, die Einnahme der Stadt durch IS-Kämpfer zu verhindern. Das hat Ankara aber verweigert, wegen seines komplizierten Verhältnisses zu den Kurden. Und weil die Amerikaner der türkischen Forderung nach einer Pufferzone – einer Art Flugverbotszone über grenznahem syrischen Territorium – nicht zustimmen wollten. Nach Meinung des Pentagons wäre das wegen der russischen Luftabwehrsysteme, über die das Assad-Regime verfügt, zu riskant.

Ankara will auch, dass die Amerikaner nicht nur gegen IS, sondern auch gegen Regimeziele in Syrien vorgehen. Doch diese zweite Front aufzumachen würde die Lage nur verkomplizieren, und Washington möchte nicht noch weiter in den syrischen Bürgerkrieg hineingezogen werden. Zumal die Lage im Kampf gegen IS auch im Irak keineswegs rosig aussieht. Zwar konnte der Vormarsch der Terroristen auf kurdisches Gebiet im Nordirak gestoppt werden, in der Region Anbar weiter im Süden jedoch kann IS Geländegewinne verbuchen. Und Falludscha bleibt weiter umkämpft. Die syrische Grenzstadt Kobane ist derzeit nur eines von vielen Problemen, mit denen sich die Amerikaner im Kampf gegen IS beschäftigen müssen. Und mit der amerikanischen Beschränkung auf Luftschläge und dem nicht gerade ermutigenden Zustand der amerikanischen Partner auf dem Boden im Irak und in Syrien wird dieser Kampf wohl noch sehr lange andauern.