Dilma Rousseff und Marina Silva kämpfen um die Präsidentschaft – mit harten Bandagen

Rio de Janeiro. Dilma Rousseff und Marina Silva kennen sich sehr gut. Beide waren einst Parteigenossinnen in der regierenden Arbeiterpartei (PT) Brasiliens und gehörten unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sogar demselben Kabinett an. Schon damals kreuzte die nüchterne Ökonomin „Dilma“ des Öfteren die Klinge mit Umweltministerin „Marina“, die 2008 enttäuscht die Regierung und 2009 die PT verließ und Rousseff im Jahr darauf bei der Präsidentschaftswahl herausforderte. Freundinnen waren sie nie. Nach diesem Wahlkampf stehen die Chancen noch schlechter, dass sie es je werden.

Der 56-jährigen Silva bescheinigen Umfragen gute Chancen, als zweite Frau das Präsidentenamt zu erobern, auch wenn sich die Aussichten am Wochenende vor der Wahl am 5. Oktober eintrübten. Amtsinhaberin Rousseff lag danach satte 13 Prozentpunkte vor ihrer schärfsten Rivalin. Für Silva ginge es aber ohnedies erst nach dem 5. Oktober in die entscheidende Phase. Denn das Votum über das Präsidentenamt dürfte erst in der Stichwahl am 26. Oktober fallen. Den Umfragen zufolge verpasst Rousseff, 66, die für einen Sieg in der ersten Runde notwendige absolute Mehrheit deutlich.

Der 13. August änderte das Wahlszenario in Brasilien grundlegend. An diesem Tag kam der Spitzenkandidat der Sozialistischen Partei Brasiliens (PSB), Eduardo Campos, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Nachdem die PSB den Schock überwunden hatte, hob sie seine Vize Silva auf den Schild, die seitdem die Strategen im gegnerischen Wahlkampflager das Fürchten lehrt. Sie kommt aus armen Verhältnissen, gehört der evangelikalen Kirche Assembleia de Deus an und macht Rousseffs PT die Stammwähler dort streitig, wo es ihr wehtut: im armen und wählerstarken Nordosten.

„Blitzkrieg“ nennen Brasiliens Medien Rosseffs Angriffe auf Marina Silva

Die PT änderte ihre Strategie radikal. Sie feuerte im Wahlkampf mit voller Wucht auf Silva, die schon 2010 im ersten Wahlgang aus dem Stand 19 Prozent der Stimmen holte. Vorige Woche attestierten Umfragen Silva bei einer Stichwahl 46 Prozent der Stimmen – zwei Prozentpunkte mehr als Rousseff. Spätestens da schrillten die Alarmglocken in der PT-Zentrale. Die Reaktion war ein „Blitzkrieg“, wie brasilianische Medien die PT-Attacken auf Silva titulierten.

Das schwerste Geschütz der PT: Silva wolle die Familiensozialhilfe Bolsa Familia abschaffen, von der Millionen Familien profitieren. Silva konterte auf eine Art, die zuvor nur PT-Übervater Lula perfekt beherrscht: emotional. „Alles was meine Mutter für acht Kinder hatte, war ein Ei, ein wenig Mehl und Salz. Ich sah meine Mutter und meinen Vater an und fragte: ,Esst ihr nichts?‘ Meine Mutter antwortete: ,Wir haben keinen Hunger.‘ Wer so etwas erlebt hat, der wird die Bolsa Familia niemals beenden.“

Doch schon das Gerücht dämpfte die Umfragewerte für Silva – zugunsten Rousseffs, die trotz mageren Wirtschaftswachstums, hoher Inflation und Korruptionsaffären im PT-Umfeld den Amtsbonus hat. Den nutzte sie auch vor der Uno-Vollversammlung, was ihr daheim als „schamlose Wahlkampagne“ vor der Weltgemeinschaft angekreidet wurde.

Aécio Neves, der Kandidat der sozialdemokratischen PSDB macht vor allem Front gegen die PT. Doch Neves, der prominente Wahlkampfhilfe vom Ex-Weltfußballer Ronaldo bekommt, liegt in Umfragen mit etwa 19 Prozent abgeschlagen auf Platz drei.