Massive Luftangriffe auf die Terrormiliz IS in ihrer Hochburg al-Rakka. Pentagon: Einsatz war „sehr, sehr effektiv“

Washington. „Der Himmel über al-Rakka ist jetzt voller Drohnen“, twitterte Abdulkader Hariri am frühen Morgen. Er beschrieb den Beginn von US-Luftangriffen gegen die IS-Terrormiliz – nun auch in Syrien. „Gewaltige Explosionen erschütterten die Stadt“, schilderte der Syrer direkt aus al-Rakka, der Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich die Nachrichten im Netz. „Die Geräusche von Kriegsflugzeugen sind deutlich zu hören“, schrieb Hariri nur wenige Minuten kurz danach.

Keine Stunde später war klar: US-Präsident Barack Obama hatte den Angriffsbefehl erteilt. Sechs Wochen nach Beginn der Bombardements gegen IS-Stellungen im Irak weiten die USA ihre Luftangriffe auf das benachbarte Syrien aus. Das Ziel sind Kommandozentren, Waffenlager, Führungsposten und Trainingscamps der Dschihadisten. Auch ein „Finanzzentrum“ und Versorgungsfahrzeuge des IS wurden laut Pentagon attackiert.

Mehr als einen Monat hatten Kampfflieger auf ihren Überwachungsflügen Informationen gesammelt, um mehr Erkenntnisse über das Chaos in dem schwer umkämpften Land zu gewinnen. In der Nacht schlugen sie los.

Anders als im Irak, wo die Amerikaner zunächst alleine angriffen und erst nach und nach militärische Unterstützung etwa von Frankreich bekamen, sicherten sie sich bei ihrer Syrien-Strategie schon vorher breiten Rückhalt in der Region. Saudi-Arabien, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Katar kämpfen nun an der Seite des US-Militärs oder unterstützen die Angriffe, wie das Pentagon mitteilte. Diese Partner gelten als Schlüssel, um die Extremisten zurückzudrängen. Europäische Länder sind bei den Angriffen in Syrien bisher nicht dabei.

Schon die ersten Attacken waren auch eine Demonstration der Macht. Anders als die eher schnellen und gezielten Schläge auf Fahrzeuge und Panzer im Irak, die das Pentagon fast täglich in knappen Depeschen protokolliert, schlugen die USA und ihre fünf Verbündeten in Syrien nun härter zu. Kampfjets, Bomber und 47 „Tomahawk“-Marschflugkörper, abgefeuert von zwei Kriegsschiffen im Roten Meer und im Persischen Golf, flogen. Auch Kampfdrohnen und das teure Jagdflugzeug F-22 „Raptor“ waren im Einsatz. Eine Angriffswelle aus mehr als 150 Raketen und Präzisionsbomben gingen auf mindestens 14 Ziele in al-Rakka und Orten nahe der syrisch-irakischen Grenze nieder.

Im Alleingang nahmen die USA zugleich auch die Dschihadisten-Gruppe Khorasan ins Visier, um deren „drohende Anschlagspläne“ gegen Amerika und Europa zu stoppen: Die Gruppe sei unmittelbar vor „der Ausführungsphase eines Angriffs entweder in Europa oder dem Heimatland“ gewesen, hieß es. Trainingslager, eine Produktionsstätte für Waffen und Sprengstoff und ein Kommandozentrum wurden bei acht Schlägen unter anderem bombardiert. Mehr als 50 Mitglieder der Gruppe sollen getötet worden sein. Dieser Teil der Attacken und die Hinweise auf mögliche Terrorattacken kam überraschend: Die erst im vergangenen Jahr gegründeten Miliz sei ein „Netzwerk erfahrener Al-Qaida-Veteranen“, hieß es im Verteidigungsministerium in Washington. Dessen Sprecher John Kirby berichtete gestern von „sehr, sehr effektiven“ Angriffen.

Auch die Khorasan wurden bombardiert – sie sollen Anschläge geplant haben

US-Präsident Barack Obama sagte, die Mitwirkung fünf arabischer Staaten zeige der Welt, dass der Kampf gegen die IS-Terrormiliz „nicht allein Amerikas Kampf ist“. Der amerikanische Generalstabschef Martin Dempsey sagte, die Angriffe nicht nur auf die IS-Terrormiliz, sondern auch auf die mit al-Qaida verbündete Nusra-Front in Syrien hätten den Terroristen klargemacht, dass es für sie keinen sicheren Ort mehr gebe. Für die heute stattfindende Uno-Generalversammlung und die Sitzung des Sicherheitsrats, die Obama leiten wird, sendet der Krieg des amerikanisch-arabischen Sechserbündnisses ein wichtiges Signal. Die Bevölkerung Syriens, wo seit dreieinhalb Jahren ein erbitterter Bürgerkrieg tobt, muss sich nun auf schwerere Kämpfe und ein noch größeres Chaos gefasst machen. Zugleich können die Menschen hoffen, dass die breit angelegte Attacke gegen den IS ein Wendepunkt ist. Die syrische Regierung wurde über die Angriffe informiert, habe aber in keiner Weise interveniert, sagte Kirby. Der Uno-Botschafter Syriens soll von der US-Regierung vor den ersten Luftschlägen ins Bild gesetzt worden sein. „Was für ein bedeutsamer Tag, ein Tag, auf den wir uns so, so lang gefreut haben“, sagte ein Angehöriger der syrischen Opposition im US-Nachrichtensender CNN. Der Moderator bemerkte, dass die Türkei in dem Bündnis fehle. Das einzige Nato-Mitglied in der Region hatte sich zum Schutz von 49 im Irak entführten Geiseln zunächst nicht an Attacken auf IS-Ziele beteiligen wollen. Kurdische Oppositionelle werfen Ankara auch vor, es unterstütze die Terrormiliz direkt und indirekt.

Als zweite Säule der Strategie gegen die Islamisten in Syrien soll eine Trainings- und Bewaffnungsmission des US-Militärs für als gemäßigt geltende Rebellengruppen folgen. Noch wird gerätselt, wie das Pentagon die schwarzen Schafe bei dieser Operation aussieben und „gute“ von „bösen“ Rebellen unterscheiden will. Dass Assad von den Angriffen der Amerikaner und der arabischen Länder profitiert, müssen die IS-Gegner als kleineres Übel hinnehmen.