Am Donnerstag stimmt das Land ab, ob es seine Zukunft in einer Unabhängigkeit von Großbritannien sieht. Eine Wahl mit weitreichenden Folgen

Edinburgh . Vor dem mit Spannung erwarteten Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands am Donnerstag hat Queen Elizabeth II. die Schotten zu einer bedachten Entscheidung aufgerufen. „Ich hoffe, das Volk wird sehr sorgsam über die Zukunft nachdenken“, sagte das britische Staatsoberhaupt, das sich gegenwärtig wie jedes Jahr zum Sommerurlaub auf Schloss Balmoral in Schottland aufhält, am Rande eines Gottesdienstes zu einem Passanten. Eine klare Position zu politischen Angelegenheiten darf die Queen nicht beziehen.

Sollten sich die Schotten für die Unabhängigkeit entscheiden, bliebe die Queen wohl dennoch Staatsoberhaupt eines eigenständigen Schottlands. Die Befürworter der Eigenständigkeit hatten dies von Beginn der Kampagne an deutlich gemacht.

Verbissen kämpfen die Regierungschefs Großbritanniens und Schottlands um die Stimmen der letzten unentschiedenen Schotten. Alex Salmond, Chef der in Edinburgh regierenden Nationalpartei SNP, traf sich am Montag in Schottlands Hauptstadt Edinburgh mit Wirtschaftsvertretern. Diese rückten mehr und mehr auf die Seite der Unabhängigkeitsbewegung, sagte er, „weil sie wissen, dass das der einzige Weg ist, auf dem wir die benötigte Wirtschaftskraft bekommen können“. In den vergangenen Tagen hatten zahlreiche Unternehmen, darunter Banken und große Kaufhausketten, vor negativen Folgen eines Votums für die Abspaltung gewarnt.

Großbritanniens Premierminister David Cameron hatte für Montag seinen zweiten Besuch in Schottland innerhalb weniger Tage angekündigt. Vergangene Woche hatte er in Edinburgh gesagt, ein Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs würde ihm „das Herz brechen“.

Um die Unabhängigkeit ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen entbrannt; die Meinungsforscher sehen keinen klaren Favoriten. Mehrere Erhebungen zeigten zuletzt einen leichten Vorsprung für die Befürworter einer weiteren Zugehörigkeit der Schotten zu Großbritannien. Bis zuletzt trommeln britische Spitzenpolitiker, unterstützt von Prominenten aus Sport, Showgeschäft und Wissenschaft, für den Zusammenhalt der vor mehr als 300 Jahren mit England geschlossenen Union. Sollte sich eine Mehrheit der vier Millionen Wahlberechtigten für ein unabhängiges Schottland entscheiden, werden nicht nur an den Finanzmärkten Turbulenzen erwartet. Auch politisch sind Schockwellen möglich, da die Unabhängigkeitsbewegungen in anderen EU-Ländern dann Auftrieb bekommen dürften.

Das Vereinigte Königreich (UK) wäre in seiner jetzigen Form Geschichte. Großbritannien verlöre bei einer von Nationalisten für 2016 geplanten Loslösung Schottlands nicht nur über fünf Millionen Einwohner, sondern auch Einfluss in Europa. Zudem muss es sich wohl nach einem neuen Standort für seine Atomwaffen umsehen, die in Schottland lagern. Auch das Ausland ist besorgt: Länder wie Spanien und Belgien befürchten, dass Unabhängigkeitsbewegungen Oberwasser erhalten und ihren Staatsverband sprengen könnten.

„Es gibt kein Zurück, keine Wiederholung. Wenn Schottland mit Ja stimmt, wird das Vereinigte Königreich auseinanderbrechen, und wir werden für alle Zeit getrennte Wege gehen“, warnte der britischer Premierminister David Cameron am Montag laut Redetext in Schottland. Die Befürworter einer Abspaltung von Großbritannien führen an, dass Schottland reif für die Selbstbestimmung ohne Einfluss der Zentralregierung in London sei. Die Gegner halten dem entgegen, dass die Region im Vereinigten Königreich auf mehr Sicherheit und Wohlstand setzen könne. Zudem verweisen sie auf Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte und warnen vor einem wirtschaftlichen Niedergang. Bis September wurde der Unabhängigkeitsbewegung kaum Aussicht auf Erfolg prognostiziert. Doch in den vergangenen Wochen konnten die Nationalisten Befragungen zufolge Hunderttausende Wähler gewinnen.

Eine Abspaltung hätte weitreichende politische und wirtschaftliche Konsequenzen zur Folge. Welche Währung gilt dann zwischen Glasgow und Aberdeen? Wie werden die Staatsschulden aufgeteilt? Und was wird aus der EU- und Nato-Mitgliedschaft, wenn Schottland in die Unabhängigkeit entlassen wird? Das sind nur einige Kernfragen.

Wie groß die Nervosität an den Märkten ist, lässt sich an den Aktienindizes und am Pfund Sterling ablesen, das teilweise auf ein Zehnmonatstief zum Dollar absackte. Entsprechend wird der Kampf um die Wählergunst auch in der Wirtschaftswelt immer schärfer geführt.

Nachdem mehrere Unternehmen vor einer Abspaltung gewarnt hatten, drohte ein Vertreter der schottischen Nationalisten dem Ölkonzern BP mit Verstaatlichung. Banken wie Lloyds und Royal Bank of Scotland haben damit gedroht, Schottland nach einer Abspaltung den Rücken zu kehren. Nationalisten werfen Cameron vor, die Unternehmen zu Angst einflößenden Äußerungen anzuhalten.