Beim Gipfeltreffen in Wales geht es um Russland – aber auch ums Geld

Brüssel. Für die Nato wird es – wieder einmal – eine politische Zeitenwende. Von einem „entscheidenden Gipfel in der Geschichte der Nato“ spricht der scheidende Bündnis-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Angesichts des russischen Eingreifens in der Ukraine werden die Staats- und Regierungschefs der 28 Staaten des Nordatlantischen Bündnisses beim am Donnerstag beginnenden Nato-Gipfel die gemeinsame Verteidigung erstmals wieder als wichtigste Aufgabe der Allianz bezeichnen. Bei dem Treffen in Newport (Wales) wird zugleich der internationale Kampfeinsatz in Afghanistan nach 13 Jahren beendet.

Nach verschiedenen „Häutungen“ kehrt die Nato zur Zweckbestimmung des Gründungsjahres 1949 zurück: durch gemeinsame Verteidigung die Sicherheit jedes einzelnen Bündnismitglieds zu garantieren. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989 hatte dieser Grundsatz gegolten. Als der Warschauer Pakt zerbröselte, stürzte die Nato in eine Art Sinnkrise. Seit Mitte der 1990er-Jahre dann verstand sich das Bündnis als global operierender Sicherheitsakteur. Russland wurde als Partner betrachtet, nicht als Gegner. Ein Krieg in Europa galt als ausgeschlossen.

„Bei Gipfeln machen wir uns immer Gedanken über die Zukunft der Nato. Aber dieses Mal hat Putin die Frage schon beantwortet“, sagt ein Nato-Diplomat. Gemeint ist: Nach der Annexion der Krim durch Russland und der Unterstützung Separatisten in der Ostukraine durch Moskau sieht die Nato sich zu einer Kursänderung gezwungen. „Zurück zu den Wurzeln, zurück zur gemeinsamen Verteidigung“, formuliert ein Diplomat die neue, alte Richtung des Bündnisses. Russland werde beim Gipfel sicher nicht mehr als Partner bezeichnet, aber auch nicht als Gegner, heißt es. Wichtige Verbündete, darunter die USA, schließen zumindest für die Dauer von Putins Amtszeit eine Rückkehr zu partnerschaftlichen Beziehungen mit Moskau aus.

Wie sich die Nato ab 2015 positioniert, ist unter den 28 Mitgliedern umstritten

Wie sich die Nato von 2015 an als Verteidigungsbündnis neu positioniert, ist aber durchaus umstritten. Einigkeit besteht zwar über einen „Aktionsplan“, mit dem die Nato ihre Bereitschaft und Präsenz in den östlichen Mitgliedstaaten zeigen will: Aushängeschild soll eine „Speerspitze“ von mehreren Tausend Nato-Soldaten sein, die innerhalb von zwei bis drei Tagen in jedem anderen Bündnisland einsetzbar sein können. Sie sollen einem möglichen Angreifer signalisieren: Dies wäre ein Angriff gegen die Nato. Dazu gehört die vorsorgliche Lagerung von Sprit, Waffen, Munition und Fahrzeugen sowie die Schaffung neuer Kommandozentralen in möglichen Einsatzländern.

Der erbittertste Streit beim Gipfel dürfte sich aber um die Frage drehen, wie viel die Europäer für mehr Verteidigung auf dem eigenen Kontinent zu zahlen bereit sind. US-Präsident Barack Obama möchte von den Verbündeten verbindliche Versprechen für mehr Verteidigungsausgaben. Die Finanzen könnten auch das Hauptproblem für den neuen Nato-Generalsekretär, den Norweger Jens Stoltenberg, werden. Die USA zahlen derzeit 70 Prozent der Verteidigungsausgaben der Nato-Staaten. Nach Ende des Afghanistan-Einsatzes fordert Washington, dass zumindest ein Teil des eingesparten Geldes ausgegeben wird, um die europäischen Streitkräfte einsatzfähig zu halten. Das werde die wohl schwierigste Diskussion in Newport werden, sagt ein Diplomat.