Russlands Präsident wird seit der Besetzung der Krim gemieden. Da hilft nur, zum Hörer zu greifen

Moskau. Nächste Woche trifft sich Russlands Präsident Wladimir Putin in Minsk zum ersten Mal mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Es handelt sich um eine bemerkenswerte Zusammenkunft, denn immerhin stehen die beiden Länder in offenem Konflikt zueinander. „Dass alle Fragen, vom Gas bis zur Krim, geklärt werden, ist nicht realistisch“, glaubt der Moskauer Politologe Fjodr Lukjanow . Hinzu kommt, dass es einsam geworden ist um Wladimir Putin. Es ist eines der wenigen persönlichen Treffen mit anderen Staatschefs in diesem Jahr überhaupt. Seit der Ukraine-Krise meiden die meisten westlichen Politiker Moskau – und die Einladungen an Putin zu Staatsbesuchen halten sich in Grenzen.

Russlands Präsident sucht seinen eigenen Weg aus der Isolation und setzt verstärkt auf Telefondiplomatie. Laut der offiziellen Kreml-Seite führte Putin seit Beginn des Jahres bis heute 120 Telefonate mit internationalen Politikern. Im Vergleich dazu: Im ganzen vergangenen Jahr wurden auf seiner Seite nur 59 Mitteilungen über solche Telefonate veröffentlicht. „Mit wem telefoniert Putin?“, fragte unlängst die russische Lifestyle-Seite the-village.ru, welche die Anrufe des russischen Präsidenten in eine Infografik verarbeitete. Das Ergebnis offenbart Erstaunliches.

Mit Abstand am häufigsten telefonierte Putin in diesem Jahr mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). 33-mal sprachen die beiden miteinander am Telefon, davon waren 21 Gespräche bilateral. Die restlichen zwölf Telefonate mit Merkel waren Telefonkonferenzen, an denen auch andere Staatschefs beteiligt waren. Auch wenn das Verhältnis zwischen Merkel und Putin deutlich abgekühlt ist, hat das Wort der Kanzlerin immer noch das stärkste Gewicht im Kreml. Merkel versuchte wieder und wieder den russischen Präsidenten dazu zu bewegen, seine Position im Ukraine-Konflikt zu verändern. Am häufigsten, neunmal, telefonierten die beiden im Juni, als eine Reihe von multilateralen Gesprächen zwischen Merkel, Putin, dem französischen Präsident François Hollande und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko stattfand. Es war die Zeit der Feuerpause, die Freilassung der OSZE-Beobachter und des Friedensplans von Poroschenko.

Während die Quantität der Gespräche einigermaßen unstrittig ist, gehen die Interpretationen über deren Inhalt und Verlauf indes weit auseinander. In den letzten Telefonaten vom 16. und 6. August hat Merkel Putin aufgefordert, den Zustrom von Rüstungsgütern und bewaffnetem Personal in die Ostukraine zu beenden. So zumindest teilte es der Sprecher der Bundesregierung mit. Auf der Kreml-Seite hingegen war in den Mitteilungen über die Telefonate keine Rede davon. Am 6. August habe Putin die Bundeskanzlerin über die russische Initiative mit dem Hilfskonvoi informiert. Am 16. August will er betont haben, dass die Regierung in Kiew für die Ereignisse in der Ostukraine die Verantwortung trage.

Der zweitpopulärste Gesprächspartner Putins in den vergangenen Wochen war der französische Präsident François Hollande. Dieser agierte dabei vor allem als Vermittler: Von 15 Telefonaten zwischen Paris und Moskau waren nur sechs bilateral. Neunmal nahm Hollande an multilateralen Gesprächen mit anderen Politikern teil. Mit dem US-Präsidenten Barack Obama sprach Putin dagegen nur bilateral – insgesamt zehnmal in diesem Jahr. Am häufigsten – viermal – telefonierten sie im März im Zusammenhang mit der Krim-Annexion und den ersten Sanktionen gegen Russland. Abgesehen davon sprachen sie nur einmal im Monat miteinander.

Gleich nach Obama kommen der kasachische Staatschef Nursultan Nasarbajew (neun Telefonate) und sein weißrussischer Kollege Alexander Lukaschenko (sieben Telefonate). Die beiden Staaten gehören zu der von Russland angeführten Zollunion. Am häufigsten telefonierte Putin mit den beiden Kollegen im August, als Russland Importe von Lebensmittel aus der EU und den USA stoppte und mit den Zollunionstaaten absprechen musste, wie sie sich dazu verhalten.

Am häufigsten – 25-mal – telefonierte Putin insgesamt im März im Laufe der Krim-Annexion. Im April folgte eine Pause mit nur acht Telefonaten. 24-mal griff der Kremlchef zum Hörer im Juli, als die malaysische Passagiermaschine MH17 mutmaßlich von pro-russischen Separatisten abgeschossen wurde. Sein schwierigster Tag dürfte der 20. Juli gewesen sein, als er an einem Abend vier Anrufe machte – bei Merkel, dem britischen Premierminister David Cameron, dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte und dem australischen Premierminister Tony Abbott. Anschließend zeichnete er bis spät in die Nacht eine Videobotschaft auf. Am 23. Juli führte er vier Telefonate – so viel wie er im vergangenen Jahr oft im ganzen Monat machte.

Auf der offiziellen Kreml-Seite wird bei solchen Meldungen immer darauf hingewiesen, wenn das Gespräch „auf Initiative der US-Seite“ oder „auf Initiative der deutschen Seite“ stattgefunden hat. Damit soll wohl unterstrichen werden, wie wichtig Putin ist – er ruft nicht an, er wird angerufen. Wenn Putin selbst jemanden anruft, dann heißt es einfach „das Telefongespräch fand statt“. Und wenn Putin den Hörer nicht abnehmen will, hat auch das große Bedeutung. Anfang März, als russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen auf der Krim auftauchten und der russische Föderationsrat beschloss, dass Moskau die Armee in der Ukraine einsetzen darf, versuchten der ukrainische Interimspräsident Olexander Turtschinow und Regierungschef Arseni Jazenjuk Putin zu erreichen. Vergeblich. Mit seinem Schweigen demonstrierte Putin, dass er die Legitimität der ukrainischen Regierung nicht akzeptiert.