Rasmussen wirft dem Kreml Überschreiten der ukrainischen Grenze mit Militär vor. Russland bestreitet dies allerdings. Auch Hilfskonvois seien eingetroffen.

Kiew/Moskau. Trotz aller Warnungen aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew und dem Westen ist eine russische Militärkolonne offenbar über die Grenze in den umkämpften Osten der Ukraine eingedrungen. Die Fahrzeuge hätten die Grenze am Posten Iswarine überquert, bestätigte ein ukrainischer Militärsprecher am Freitag. Die britischen Zeitungen „The Guardian“ und „The Daily Telegraph“ hatten berichtet, in der Nacht zum Freitag seien 23 Fahrzeuge mit russischen Armeekennzeichen, darunter gepanzerte Truppentransporter und Tanklastwagen, nahe dem russischen Grenzort Donezk auf ukrainisches Territorium vorgedrungen. Dort liegt der Übergang Iswarine.

Der ukrainische Militärsprecher sagte, es gebe noch keine bestätigten Informationen über die Zahl der Fahrzeuge, die tatsächlich in die von Separatisten kontrollierte ostukrainische Region eingedrungen seien. Dies passiere praktisch jede Nacht, um die Ukraine zu provozieren. „Die vergangene Nacht war da keine Ausnahme“, sagte der Sprecher. Das ukrainische Militär meldete am Abend, einen russischen Konvoi auf ukrainischem Territorium angegriffen und teilweise vernichtet zu haben. Russland bestreitet allerdings, in die Ukraine eingedrungen zu sein.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bestätigte dagegen eine Grenzverletzung durch Russland. „In der vergangenen Nacht haben wir einen russischen Einfall erlebt, eine Überschreitung der ukrainischen Grenze“, sagte Rasmussen. „Dies bestätigt nur die Tatsache, dass wir einen dauernden Fluss von Waffen und Kämpfern aus Russland in die Ostukraine sehen“, erklärte Rasmussen. „Und es ist eine deutliche Demonstration der anhaltenden russischen Beteiligung an der Destabilisierung der Ukraine.“ Er rief Moskau auf, die Separatisten nicht weiter zu unterstützen und in den Dialog mit der Regierung in Kiew zu treten.

Auf einem Sondertreffen der EU-Außenminister am Freitag in Brüssel sagte der litauische Außenminister Linas Linkevičius, er habe Informationen, dass die russischen Streitkräfte in der Nacht rund 20 Fahrzeuge mit 70 Ausrüstungsgegenständen auf ukrainisches Gebiet gebracht haben. Schwedens Chefdiplomat Carl Bildt warnte in Brüssel, es handele sich um einen „klaren Bruch des Völkerrechts“. Der britische Außenminister Philip Hammond äußerst sich sehr besorgt: Sollten russische Soldaten oder Fahrzeuge in der Ostukraine sein, müssten diese sofort zurückgezogen werden. Ansonsten hätte dies schwerwiegende Konsequenzen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, Russland müsse jeglichen Nachschub für die Separatisten unterbinden. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) telefonierte am Freitagmorgen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Dabei ging es nach Angaben seines Sprechers um den angeblichen Militärkonvoi ebenso wie um den umstrittenen Transport russischer Hilfsgüter.

Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte „t-online.de“, nach dem gleichen Muster habe Präsident Wladimir Putin die Schwarzmeerhalbinsel Krim annektiert. „Eine wirklich dramatische Situation“, bilanzierte er. Mölling verwies darauf, dass sich nahe der Grenze Zehntausende russische Soldaten in Stellung gebracht hätten. Zudem gab es am Freitag neue Berichte, die russischen Streitkräfte ließen Dutzende Schützenpanzer an der Grenze in der Nähe des Hilfskonvois auffahren. „Das ist das Mutterschiff auf eigenem Territorium, von dem aus zuerst Milizen und dann Soldaten einsickern – in ganz kleinen Gruppen.“ Mit einem groß angelegten, überraschenden Schlag in die Ukraine werde Russland hingegen sicher nicht einrücken.

Im Tauziehen um einen russischen Hilfskonvoi für die von prorussischen Separatisten gehaltenen Gebiete in der Ostukraine haben Russland und die Ukraine nach Angaben aus Kiew unterdessen eine Einigung erzielt. Dank der internationalen Unterstützung sei es gelungen, eine Eskalation zu vermeiden, teilte Präsident Petro Poroschenko mit. Auch das finnische Staatsoberhaupt Sauli Niinistö bestätigte nach einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin, dass es eine Einigung zwischen Kiew, Moskau und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gebe. „Wir haben gehört, dass sich der russische Hilfskonvoi bewegt“, sagte er in Sotschi. Niinistö war am Freitag der erste europäische Staatschef, den Putin seit der Eskalation der Ukraine-Krise empfing. Putin sagte nach dem Treffen in Sotschi, er und Niinistö wollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Konflikt zu beenden und einen Dialog zwischen der Regierung in Kiew und den Rebellen herzustellen.

Ukrainische Grenzschützer begannen am Freitag auf russischem Gebiet mit der Untersuchung der etwa 280 Lastwagen. Sie haben nach russischen Angaben 2000 Tonnen Wasser, Babynahrung und andere Hilfsgüter geladen. Das IKRK erklärte, der Hilfskonvoi werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Lastwagen sollen unter der Obhut des Roten Kreuzes in die umkämpften Gebiete fahren. Dort würden Mitarbeiter der Organisation die Hilfsgüter verteilen. Vorher benötige das IKRK aber noch Sicherheitsgarantien aller Konfliktparteien.