Washington rüstet Kurden mit Waffen aus. Ungeachtet der islamistischen Bedrohung tobt in Bagdad ein Machtkampf

Washington/Bagdad. Nach dem Vorrücken islamistischer Rebellen im Nordirak erwägen die USA, Zehntausende geflüchtete Jesiden in Sicherheit zu bringen. Man prüfe die Optionen, wie man die Zivilisten vom Höhenzug Sindschar holen könne, sagte der stellvertretende US-Sicherheitsberater Ben Rhodes. Viele Flüchtlinge sind wegen der Strapazen bei hohen Temperaturen in dem kargen Landstrich bereits gestorben, wie Angehörige der religiösen Minderheit berichteten. Die USA arbeiteten mit internationalen Partnern daran, um die Menschen von dem Berg in Sicherheit zu bringen, sagte US-Präsident Barack Obama am späten Montagabend (MEZ) in einer Erklärung an seinem Urlaubsort in Martha's Vineyard. In der Nacht zu Montag warf die US-Luftwaffe wieder Hilfsgüter ab, darunter 74.000 Essensrationen und 50.000 Liter Trinkwasser. Die Flüchtlinge befänden sich in einer lebensgefährlichen Lage, sagte die Uno-Vertreterin im Irak, Eliana Nabaa.

US-Kampfflugzeuge griffen Stellungen des IS rund um den Sindschar an. Die sunnitischen Islamisten bedrohen die Jesiden mit dem Tode, da sie in ihnen Teufelsanbeter sehen. Nach unbestätigten Berichten wurden von den Milizen Hunderte Jesiden getötet. Teils sollen sie lebendig begraben worden sein. Rund 30.000 Anhänger der vorislamischen Religion hatten nach Uno-Berichten vor einer Woche den Sindschar verlassen und konnten sich, teilweise über syrisches Territorium, auf ein von Kurden kontrolliertes Gebiet im Norden Iraks durchschlagen.

Aus Sicht des Experten Pollack haben die US-Streitkräfte zwei Alternativen zur Rettung der Flüchtlinge: Der IS könnte unter Drohung von Luftangriffen gezwungen werden, die Jesiden in sicheres Gebiet abziehen zu lassen. Die zweite wäre die Schaffung eines Fluchtkorridors durch die Kurdenmiliz Peschmerga und die irakische Armee, die von der US-Luftwaffe unterstützt werden könnten.

Australien, Großbritannien und Frankreich haben nach US-Angaben Hilfen für die eingeschlossenen Flüchtlinge angeboten. „Wir koordinieren eine Gruppe von Partnern“, erklärte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel. Deutschland hatte in der vergangenen Woche seine finanziellen Hilfen aufgestockt. Die Bundesregierung bekräftigte aber, Waffenlieferungen an die von den IS-Kämpfern ebenfalls bedrängten Kurden nicht zu genehmigen. In Kampfgebiete würden grundsätzlich keine Waffen geliefert.

Angesichts des Vormarsches der Dschihadisten beliefern allerdings die USA die kurdischen Kämpfer mit Waffen. In Zusammenarbeit mit der Regierung in Bagdad würden den Kurden „sehr schnell dringend benötigte Waffen“ geliefert, sagte US-Außenamtssprecherin Marie Harf dem Fernsehsender CNN. „Die Iraker liefern Waffen aus ihren Vorräten, und wir machen das Gleiche, wir liefern Waffen aus unseren Vorräten“, sagte Harf weiter.

In Bagdad spitzte sich unterdessen ungeachtet der wachsenden Bedrohung durch den IS der Machtkampf zwischen Ministerpräsident Nuri al-Maliki und seinen Gegnern zu. Staatspräsident Fuad Masum erhöhte den Druck auf den seit 2006 amtierenden al-Maliki, indem er den stellvertretenden Parlamentspräsidenten Haider al-Abadi mit der Regierungsbildung beauftragte. Am Sonntag hatte sich Maliki geweigert, auf eine dritte Amtszeit zu verzichten und Panzer in Bagdad auffahren lassen. Am Montagabend wies er die Nominierung Haidar al-Abadis zum neuen Regierungschef als „Verstoß gegen die Verfassung“ zurück. Al-Maliki beharrt darauf, selbst die Regierung zu führen, da seine Partei bei der Parlamentswahl im April stärkste Kraft geworden war. Ohne die Unterstützung anderer schiitischer Gruppen sowie der Sunniten und der Kurden kann aber er keine Regierungsmehrheit zustande bringen. Westliche Staaten, darunter die USA, fordern einen Amtsverzicht Malikis, der für die Spaltung des Irak und damit für die Erfolge der IS-Milizen mitverantwortlich gemacht wird. Der Schiit Maliki hat die Sunniten aus den Staatsgeschäften gedrängt. Auch das geistliche Oberhaupt der Schiiten im Irak, Großajatollah Ali al-Sistani, hat sich schon mehrfach indirekt gegen Maliki ausgesprochen.

Rund 115 Kilometer nordöstlich von Bagdad eroberten währenddessen IS-Rebellen die Stadt Dschalaula. Die Aufständischen seien nach wochenlangen Kämpfen mit kurdischen Einheiten in die Stadt eingerückt, teilte die Polizei mit. Auch nahe gelegene Dörfer hätten sie unter ihre Kontrolle gebracht. Die IS-Kämpfer waren in den vergangenen Monaten rasch vom Norden aus in Richtung Bagdad vorgerückt. Auch den kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nordosten brachten sie eine Niederlage bei. Seit Freitag greift die US-Luftwaffe IS-Stellungen im Kurdengebiet an.

Kämpfer der IS haben haben unterdessen im Osten des benachbarten Syrien einen Widerstand von Stammesführern niedergeschlagen. Wie Aktivisten des syrischen Beobachtungszentrums für Menschenrechte berichteten, wurden bei den Kämpfen in der Provinz Deir al-Sur zwei Stammesangehörige von den Dschihadisten geköpft. Insgesamt seien in den vergangenen zwei Wochen auf beiden Seiten mehr als ein Dutzend Menschen getötet worden. Der Aufstand des Stammes der Schueitat in drei Dörfern nahe der irakischen Grenze war die erste örtliche Revolte gegen die Herrschaft der extremistischen IS. Der IS verstärkte zudem seine Belagerung einer größeren Militärbasis der syrischen Armee in der nördlichen Provinz Rakka. Der Stützpunkt nahe dem Ort Tabka werde mit Artillerie beschossen, offenbar planten die Extremisten den Sturm auf die Basis.