Bei der Auswertung von Fotos der Passagiermaschine erkennen Experten Schäden, die von Raketensplittern verursacht sein könnten

Moskau/Kiew/Den Haag. Der Absturz der Boeing über der Ostukraine verschärft die politische Krise zwischen Russland und dem Westen enorm. Alle Seiten fordern inzwischen eine unabhängige Untersuchung, die die Ursache für den Absturz klären soll. Ihre Ergebnisse werden politisch sehr brisant sein, und bereits jetzt wird ein Informationskrieg um die Beweise und Hinweise auf den Schuldigen geführt. Die erste Frage, die geklärt werden muss: Wie kam es zu dem Absturz? Und wenn er Folge eines Abschusses war: Wer hat diesen ausgeführt – und wer befohlen?

Die ersten Indizien deuten klar auf einen Abschuss hin. Das legen Fotos von durchlöcherten Wrackteilen von Reportern der „New York Times“ am Ort der Katastrophe nahe: Auf einem davon ist etwa ein Aluminiumstück des Rumpfs zu sehen, das mit kleineren Löchern übersät ist. Die gelbe Farbe der Außenseite ist abgeplatzt. Die Experten des Verteidigungsfachverlags IHS Jane’s, die diese Bilder auswerteten, kamen zu dem Schluss, dass dies ein Beleg für Schrapnell-Spuren sein könnte. Sie schlossen das aus der Form der Löcher.

Die Fachleute sprachen von typischen Löchern, die nach einer Explosion einer Rakete mit Überschallgeschwindigkeit entstehen. Viel deute darauf hin, dass eine solche neben der Maschine explodierte. Anhand von Bildern könne man zwar nicht genau sagen, was das für eine Rakete war. Aber die Spuren wiesen darauf hin, dass es nicht etwa eine Explosion der Triebwerke war, die den Absturz verursachte – sondern eine Raketenexplosion.

Infrage kommen könnten die Raketen des russischen Abwehrsystems Buk M1 (Sa-11). Diese explodieren in einer Entfernung von 30 bis 90 Metern zum Ziel. Der Rumpf, Tragflächen und Triebwerke der Maschine werden dann von Schrapnellen aus dem Gefechtskopf der Rakete getroffen. „Nach diesem Prinzip funktionieren die meisten russischen Luft-Boden- und Luft-Luft-Raketen“, erklärte der russische Militärexperte Alexander Golz. Er sei ebenfalls der Meinung, dass Schrapnell-Spuren auf den Bildern auf eine Raketenexplosion neben dem Flugzeug hinweisen. Nach seiner Einschätzung wäre ein Fund von solchen Schrapnell-Stücken am Absturzort möglich – und wichtig. „Anhand von diesen Splittern könnte man den Typ der Rakete genau identifizieren.“

Ein wichtiges Indiz bei der Suche nach den Schuldigen ist nach wie vor die Tatsache, dass sich prorussische Separatisten kurz nach dem Absturz der Boeing gegenüber russischen Medien und in sozialen Netzwerken damit brüsteten, ein ukrainisches Flugzeug vom Typ An-26 abgeschossen zu haben. Dieser Flieger wurde nirgendwo gefunden, und die Aufständischen versuchen nun, diese Informationen runterzuspielen. In den Tagen vor dem Absturz hatten sie bereits mehrere ukrainische Militärflugzeuge abgeschossen – unter anderem in einer Höhe, die für die schultergestützten Raketenwerfer nicht erreichbar ist.

Die Daten aus den beiden Flugschreibern könnten weitere Details über den Absturz ans Licht bringen. Die Geräte wurden von Separatisten gefunden und nun an Experten aus Malaysia übergeben. Experte Golz erwartet, dass die Untersuchungen viel Zeit in Anspruch nehmen werden. Internationale Experten waren erst am Montag am Absturzort eingetroffen. Davor war ein Team von OSZE-Beobachtern vor Ort, das in den ersten Tagen an der Arbeit gehindert wurde. Eine große Frage ist, was die Aufständischen zuvor mit den Spuren gemacht hatten. Michael Bociurkiw, Sprecher der OSZE-Mission, sagte dem britischen Sender BBC, dass einige Wrackteile jetzt anders aussähen als zum Zeitpunkt, als er sie zum ersten Mal gesehen habe. Das Team habe auch gesehen, wie uniformierte Männer Teile des Cockpits mit einer Säge auseinandergenommen haben.

Ob MH17 von einer Rakete getroffen wurde, werden auch niederländische Experten prüfen – indem sie in den Leichen der Opfer nach Granatsplittern suchen. Die sterblichen Überreste werden in den nächsten Tagen in der Heimat ankommen. 298 Menschen waren an Bord, zwei Drittel davon waren Niederländer. Doch die Forensiker konnten nur 282 Leichen bergen. Die anderen Opfer verbrannten vermutlich völlig.