Waffenruhe im Nahostkonflikt gescheitert. Hamas setzt Raketenbeschuss fort. Erster Israeli getötet. Netanjahu entlässt Vizeverteidigungsminister

Jerusalem. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat inmitten des eskalierten Gaza-Konflikts den stellvertretenden Verteidigungsminister Danny Danon entlassen. Anlass war laut einem Bericht der „Jerusalem Post“ die Kritik des Politikers der rechten Regierungspartei Likud an der am Dienstag verkündeten einseitigen Feuerpause Israels. Danon hatte dies einen „Schlag ins Gesicht“ für alle israelischen Bürger genannt. Schon in den vergangenen Wochen hatte Danon dem Blatt zufolge häufig Netanjahus Sicherheitspolitik kritisiert. Netanjahu ist Parteichef des konservativen Likud-Bündnisses, Danon Vorsitzender des Zentralkomitees.

Nach dem Scheitern der Waffenruhe im Gaza-Konflikt will Israel seine Luftangriffe auf Stellungen der islamistischen Hamas noch ausweiten. Ministerpräsident Netanjahu sagte am Dienstagabend, die Hamas habe Israels einseitige Feuerpause über sechs Stunden ignoriert und weiter Raketen abgefeuert. Nun werde die Miliz dafür „einen hohen Preis bezahlen“. Erstmals gab es auch ein israelisches Todesopfer. Ein Zivilist wurde laut Armee am Grenzübergang Eres von einer Rakete getroffen. Der gegenseitige Beschuss dauert schon eine Woche.

Als Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Mittag mit Netanjahu in Tel Aviv zusammentraf, sah es noch so aus, als könne aus dem ägyptischen Vorschlag für eine sofortige Feuerpause etwas werden. Das israelische Sicherheitskabinett hatte die Initiative unterstützt und seit 9 Uhr alle Angriffe auf Ziele in Gaza eingestellt. Von den sechs Kabinettsmitgliedern hatten nur Außenminister Awigdor Liebermann und Wirtschaftsminister Naftali Bennett dagegen gestimmt.

Bei Netanjahu zeigte Steinmeier sich erfreut über die Kabinettsentscheidung, war aber deutlich bemüht, Ursache und Reaktion in der jüngsten Runde des Konflikts auseinanderzuhalten: „Ich bin nach Israel gekommen, um eine klare Botschaft zu senden: Die Sicherheit Israels ist für uns Deutsche von größter Bedeutung“, sagte der Außenminister. Israel habe das „völkerrechtliche, politische und moralische Recht, seine Bevölkerung gegen Raketenangriffe zu schützen“. Weil aber zu viele Menschen zu Tode gekommen seien in den vergangenen Wochen, müsse der Raketenbeschuss nun sofort enden.

In Gaza wurden bei israelischen Luftangriffen und Artilleriebeschuss bisher 192 Menschen getötet und etwa 1400 verletzt. Während nach palästinensischen Angaben 80 Prozent der Opfer Zivilisten waren, gehen die Israelis davon aus, mehr als 100 Hamas-Leute getötet zu haben. Auf die Intensität des Raketenbeschusses aus Gaza wirkte sich die israelische Bereitschaft zu einem Waffenstillstand nicht aus.

Der Hamas-Führer Sami Abu Suhri bezeichnete den ägyptischen Vorschlag als „nicht akzeptabel“. Ein Sprecher sagte dem Nachrichtensender CNN, es handele sich um eine „Initiative für die Medien. Es ist keine politische Initiative.“ Die Ägypter wollten die Palästinenser in die Ecke drängen und den Israelis helfen. Der militärische Flügel, die Issedine-al-Kassam-Brigaden, wollen weder offiziell noch inoffiziell über das Abkommen informiert worden sein. Sollten die Berichte aber wahr sein, handele es sich um eine Kapitulation, die nicht infrage käme. „Unser Kampf gegen den Feind wird intensiviert“, gaben sie bekannt. Und Mussa Abu Marsuk, ein hochrangiger Führer der Islamisten, stellte aus Kairo klar, es gebe noch keine offizielle Reaktion der Hamas auf den Vorschlag. „Wir beraten noch immer“, schrieb er auf Facebook.

Die diversen Statements zeigen, dass es um die zentralistische Führung der Hamas nicht gut bestellt ist. Allerdings steht die Organisation vor einer Wahl zwischen Pest und Cholera: Der ägyptische Vorschlag ist ein Schlag ins Gesicht der Islamisten. Sie können nur verlieren: Eine Ablehnung würde Israel international legitimieren, den Militäreinsatz fortzusetzen und zu intensivieren. Nicht nur die ohnehin sehr angespannten Beziehungen mit Kairo würden weiter leiden, beim Treffen der Arabischen Liga am Wochenende wurde deutlich, dass eigentlich kein arabisches Land eine weitere Eskalation im Nahostkonflikt wünscht.

Doch die Hamas hat sehr hoch gepokert: Keine der von ihr seit Beginn der Feindseligkeiten gestellten Forderungen wird in dem Entwurf erfüllt. Die vage Zusage, in unbestimmter Zukunft könne irgendwann auch mal über die mögliche Öffnung der Grenzen verhandelt werden, dürfte in Gaza niemanden befriedigen. Und die von der Hamas gewünschte Entlassung der 56 von Israel im Austausch gegen den entführten Soldaten Gilad Schalit freigelassenen und dann auf der Suche nach den Mördern von drei israelischen Jugendlichen wieder festgenommenen Gefangenen wird in dem knappen Dokument ebenso wenig zugesichert wie die überfällige Zahlung der Gehälter von 40.000 Beamten in Gaza.

Noch am Montagabend war der abgesetzte Hamas-Ministerpräsident Ismail Hanijeh im Fernsehen zu sehen, wie er die Heldenhaftigkeit des militärischen Flügels seiner Organisation pries, die „den palästinensischen Stolz wieder hergestellt“ habe. Auch er erwähnte die Forderungen der Hamas und machte nicht den Eindruck, als sei er zu Kompromissen bereit. Zudem herrscht bei der Hamas Wut über die empfundene Respektlosigkeit, mit der die Ägypter den Vorschlag präsentiert haben. Man habe die Details aus den Medien erfahren, hieß es. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber die Distanziertheit der Regierung in Kairo und die Feindseligkeit in ägyptischen Medien hatte man in Gaza wohl nicht erwartet.

Nach dem Raketenhagel aus Gaza war es keine Überraschung, als um Punkt 15 Uhr ein israelischer Armeesprecher verkündete, man habe die Luftangriffe wieder aufgenommen. In den sechs Stunden seit Inkrafttreten der Feuerpause hätten Palästinenser etwa 50 Raketen nach Israel abgefeuert, hieß es. Die Waffenruhe war beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte.