Israels Militär hat seine Mindestziele noch nicht erreicht, und die radikalen Palästinenser wollen zumindest noch einen symbolischen Erfolg

Jerusalem. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist seit Beginn der neuen Gaza-Konfrontation der erste Außenminister, der vor Ort einem Waffenstillstand den Weg zu ebnen sucht. Aber der deutsche Chefdiplomat, der am heutigen Dienstag in Jerusalem und Ramallah erwartet wird, scheint zu früh zu kommen, um schon konkrete Zusicherungen erreichen zu können. Israel hat die Mindestziele seiner vor einer Woche gestarteten Militäroffensive noch nicht erreicht. Und die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas strebt weiter nach einem zumindest symbolischen Erfolg, bevor sie sich eventuell auf schmerzhafte Zugeständnisse einlassen will.

„Zum jetzigen Zeitpunkt geht unsere Regierung auf Bemühungen um eine Feuerpause nicht ein, weil wir erst sicher sein wollen, dass der Wille der Hamas gebrochen wurde, in einem Jahr oder in einem halben neu anzufangen“, sagte der liberale Finanzminister Jair Lapid dem Militärradio am Sonntag. „Noch sind wir da nicht. Wenn es soweit ist, werden wir verhandeln.“

Bisher bombardieren die israelischen Streitkräfte Ziele in Gaza meist aus der Luft, auch Kriegsschiffe feuern Raketen in das Palästinensergebiet. Am Wochenende ging erstmals ein Sonderkommando der Marine an Land und griff eine Abschussrampe an. Bodentruppen und Panzerbrigaden stehen an der Grenze des Gazastreifens zum Einmarsch bereit. „Die Streitkräfte haben in Gaza zwar hart zugeschlagen, aber der militärische Flügel der Hamas wurde noch nicht genug geschwächt“, analysierte im Radio Amos Jadlin, bis 2010 Chef des Militärgeheimdienstes.

Nur rund 50 der mehr als 170 Palästinenser, die bisher während der Offensive getötet wurden, seien Kämpfer der bewaffneten Gruppen dort, sagt Jadlin. Doch der Luftwaffengeneral a.D. kündigt an: „Jetzt beginnt eine neue Phase, in der die Hamas-Brigaden einen so hohen Preis bezahlen, dass uns dies eine bessere Position in Waffenstillstandsgesprächen verschafft und Hamas hindert, gestärkt aus dieser Konfrontation herauszukommen.“

Trotz ihrer starken Verluste zeigt zudem auch die Hamas bisher wenig Interesse an einer Feuereinstellung. Ihr Sprecher Muschar al-Masri bekräftigte am Montag in Gaza: „Mindestbedingungen für einen Waffenstillstand sind die Beendigung jeglicher Aggression gegen unser Volk, ein Ende der Blockade und die Öffnung des Grenzübergangs Rafah“ nach Ägypten. Bedingung sei zudem, dass die 2011 im Austausch für den entführten Soldaten Gilad Schalit freigelassenen Gefangenen, die in den letzten Wochen erneut festgenommen wurden, wieder auf freien Fuß kommen.

Nach Angaben eines hohen israelischen Offiziers, der im gegenwärtigen Konflikt einen Kommandoposten bekleidet, geht die Armee nach einer „Schmerzkarte“ vor. Diese Karte sei nach der letzten großen Konfrontation mit der Hamas im November 2012 erstellt worden, und zeige auf, wo die Islamisten am ehesten verwundbar sind. „Die Zerstörung dieser Ziele wird sie schwächen und in einen möglichst langen Prozess der Nachkriegsrehabilitation zwingen“, sagte der Kommandeur am Sonntag unter Zusicherung von Anonymität vor Journalisten.

Ex-Geheimdienstchef Jadlin zeigt sich sicher: „Wenn das Ziel nur ,Ruhe für Ruhe‘ lautet, und die Abschreckung verstärkt werden sollte, können wir jetzt aufhören. Das ist erreicht.“ Aber wenn es darum gehe, den bewaffneten Arm der Hamas, die Essedin-al-Kassam-Brigaden sehr nachhaltig zu schwächen und seine Aussichten auf ein Wiedererstarken zu vereiteln – „dann gibt es keinen Zweifel, dass die Armee ihre Offensive fortsetzen muss“. Auch aus Syrien und dem Libanon werden zudem erneut Raketen auf israelisches Territorium abgefeuert. Es ist der zweite Angriff aus den nördlichen Nachbarländern innerhalb weniger Tage. Israel befürchtet, dass militante Gruppen in Syrien und Libanon eine zweite Frontlinie eröffnen könnten.

Wenn Steinmeier am Dienstag in Jerusalem Justizministerin Zipi Livni und später Außenminister Avigdor Lieberman trifft, wird er danach abschätzen können, wie breit das Meinungsspektrum im israelischen Regierungskabinett ist – und wie groß der Spielraum für Kompromissformeln.

Auch die internationale Gemeinschaft erhöht den Druck auf die Konfliktparteien. Der französische Präsident François Hollande und Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon rufen Israel und die Hamas erneut zu einer Waffenruhe auf. Es sei im Interesse beider Seiten, dass statt einer weiteren gefährlichen Eskalation unverzüglich Schritte zur Beilegung der Gefechte ergriffen würden, erklärt Ban. Er verurteile den willkürlichen Raketenbeschuss der Hamas als „Verletzung internationalen Rechts“. Hollande räumt Israel zwar ein Recht zur Verteidigung ein, mahnt zugleich aber Mäßigung an.

Ban äußert sich „zutiefst besorgt“ über die Auswirkungen der israelischen Militäroperation auf palästinensische Familien. Zu viele palästinensische Zivilisten seien getötet worden, und eine israelische Bodenoffensive werde den Blutzoll und das Leiden der Menschen im Gazastreifen zweifellos erhöhen, fügt er hinzu.

Die israelischen Strafbehörden beschuldigen drei jüdische Israelis der Entführung und des Mordes an dem palästinensischen Teenager Mohammed Abu Chdeir. Polizeisprecher Micky Rosenfeld erklärt, die drei Männer seien dem Richter vorgeführt worden. Sie hätten gestanden, das 16 Jahre alte Opfer verschleppt und bei lebendigem Leib verbrannt zu haben. Zudem hätten sie die Tat nachgestellt. Abu Chdeir war am 2. Juli in der Nähe seines Zuhauses in Ostjerusalem entführt worden. Die israelischen Sicherheitsbehörden erklären, die Tat sei die Rache für die Entführung und Ermordung dreier jüdischer Jugendlicher gewesen. Die Morde auf beiden Seiten hatten entscheidend zur Eskalation der Lage beigetragen.