Soziologieprofessor Alexander Dugin verbreitet in Russland anti-westliche Ideen. Derzeit geht der Kreml auf Distanz, doch im Volk sind die nationalistischen Parolen populär

Moskau. Ein hagerer Mann mit gekrümmtem Rücken und halbgrauem Bart tritt in die kleine Kirche. Sofort zieht er bewundernde Blicke auf sich. Patriotische Russen halten ihn für ein Genie, einen Guru. Alexander Dugin hört zu und nickt zustimmend. Der Priester redet gerade vom „Faschismus in einer unverdeckten Form“ und meint damit die ukrainische Regierung. Er lobt die Menschen, „die aufgestanden sind, um die russische Erde von der braunen Pest zu schützen“, und meint die Rebellen in der Ostukraine. Dugin ist häufig bei solchen Veranstaltungen. Er hat in letzter Zeit viel für „Noworossija“ (Neurussland) getan. So nennt er die Ostukraine.

„Je besser es dem Westen geht, desto schlechter geht es Russland. Je schlechter es dem Westen geht, desto besser geht es Russland“, lautet Dugins Credo. Der Krieg in der Ostukraine ist für ihn ein Kampf der Zivilisationen – Russland gegen den Westen. Dieser Kampf ist zentraler Teil seiner Ideologie des „Neoeurasianismus“. Demnach stehen Russland und andere „Festlandzivilisationen“ den USA und anderen liberalen „atlantischen Zivilisationen“ gegenüber – eine Mischung aus Mystik und Rechtsradikalismus. In Russland galt Dugin lange als Sonderling. Aber seine Ideologie passte gut zu anti-westlichen Kampagnen und sein Konzept eines „Groß-Russland“ in den Grenzen des Zarenreiches oder der Sowjetunion stießen auf Sympathie bei jenen, die unter dem Zerfall der UdSSR litten.

Die Ukraine-Krise wurde zu Dugins Sternstunde. „Ich habe den Zerfall der Ukraine und die Ablösung der Krim vorhergesagt. Viele dachten sogar, Präsident Wladimir Putin steht unter meinem Einfluss“, sagt Dugin. Seine Thesen finden Anklang, oft ist er im russischen Fernsehen zu sehen.

Doch dann ging er zu weit, als er dazu aufrief, Ukrainer zu töten. In einem Interview nach dem Brand von Odessa am 2. Mai sagte er, in der Ukraine seien „schreckliche Leute“ an die Macht gekommen. „Ich glaube, man muss töten, töten und töten.“

Dugin klingt oft wie ein Verrückter. Doch seit Jahren hat er einen Soziologie-Lehrstuhl an der Moskauer Lomonossow-Universität. Nach seinem Aufruf aber folgte seine Entlassung. Am 1. September läuft sein Arbeitsvertrag aus. „Ich wurde wegen meiner Position zu Noworossija entlassen“, behauptet Dugin und hat auch eine esoterische Erklärung: Das sei passiert, weil Putin gerade „in der Mondphase“ sei. Es gebe einen Putin in der Sonnenphase und einen in der Mondphase. „In der Sonnenphase handelt er gemäß der Logik der russischen Geschichte und Geopolitik. In der Mondphase aber steht er unter westlichem Einfluss.“ Seit die ukrainische Armee die Rebellen erfolgreich bekämpft, spricht Dugin von „Verrat an Noworossija“. Moskau müsse den Rebellen militärische Hilfe leisten fordert er. Das es das nicht tue, sei Verrat.

Ist er im Kreml tatsächlich in Ungnade gefallen oder bestimmt er nicht doch die Linien der Moskauer Außenpolitik? Es ist wohl eher so, dass er und seine Ideen vom Kreml ausgenutzt werden. „Dugin hat minimalen Einfluss“, versichert Putins Sprecher. Der Kreml versucht derzeit. sich von radikalen Tendenzen zu distanzieren.

Doch Dugins Einfluss auf die öffentliche Meinung wächst mit jeder seiner Kampagnen. Seine nationalistischen Ideen werden von Propaganda-Sendern verbreitet. Wenn das Staatsfernsehen weiter Werbung für den radikalen Professor macht, könnte der Geist aus der Flasche entweichen und sich jeder Kontrolle entziehen. Und sollte Putin wieder in eine „Sonnenphase“ eintreten und den Einmarsch in die Ukraine befehlen, wird er wissen, auf wen er sich berufen kann.