Aufständische in der Ukraine verschanzen sich in Donezk. Regierung in Kiew hofft auf Wendepunkt im Konflikt

Donezk . Ihre bisherigen Hochburgen Slawjansk und Kramatorsk sind von den Regierungstruppen geschleift, aber die Aufständischen im Osten der Ukraine geben sich noch längst nicht geschlagen. „Wir werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen“, beteuert der etwa 40 Jahre alte Stanislaw in Donezk. Er wirft den regulären ukrainischen Einheiten vor, bei ihrem Waffengang gegen die prorussischen Separatisten „das Volk auszurotten“.

Dutzende Fahrzeuge mit bewaffneten Aufständischen rollen durch die Millionenstadt Donezk. Auch fünf gepanzerte Truppentransporter befinden sich in dem Konvoi, der durch eine der großen Einkaufsstraßen rasselt. Irritiert durch die Geräusche des Kriegsgeräts, schauen sich die Passanten erstaunt um. Der öffentliche Nahverkehr in Donezk funktioniert normal. Als Hauptquartier der Aufständischen fungiert der ehemalige Sitz der Regionalverwaltung, der von den prorussischen Einheiten Anfang April erstürmt wurde. Ein paar Bewaffnete sind davor als Wache postiert, aber in dem Gebäude scheint kaum jemand zu arbeiten.

Aus der Gegend um den Flughafen sind ab und zu Explosionen zu hören. Der Flughafen wird von den ukrainischen Regierungstruppen gehalten. „Der Tag ist bislang ruhig verlaufen“, sagt ein Bewaffneter an einem Kontrollposten der Aufständischen. „Ruhiger als die Nacht“, fügt er mit einem Seufzer hinzu. In der Straße steht ein alter Geländewagen, alle Fensterscheiben sind zerborsten. Eine kleine Gruppe Uniformierter mit orangefarbenen und schwarzen Bändern der prorussischen Einheiten machen sich an dem Fahrzeug zu schaffen. Aber sie wollen keine Auskunft geben, wie das Glas zu Bruch ging. „Militärisches Geheimnis“, raunt einer.

Auch hier in Donezk werden die triumphierenden Worte aus Kiew kolportiert. Übergangsregierungschef Arseni Jazenjuk erklärt die „militärische Operation zur Befreiung von Slawjansk und Kramtorsk für beendet“, Präsident Petro Poroschenko ruft dazu auf, „die Umzingelung der Terroristen zu verstärken“. Die ukrainischen Streitkräfte haben in Slawjansk die gelb-blaue Flagge des Landes über dem Rathaus der Stadt gehisst. Die Stadt sei voll und ganz unter ihrer Kontrolle, sagen Vertreter der Sicherheitskräfte am Sonntag. Präsident Poroschenko spricht von einem Wendepunkt im Kampf zur Erhaltung der territorialen Integrität des Landes. Slawjansk bedeute aber noch nicht den Sieg über die Separatisten. „Es stehen noch weitere Prüfungen bevor“, warnt er in einer Fernsehansprache.

Ein Vertreter des Kommandostabes der Militäraktion sagt, in Slawjansk habe der Wiederaufbau der Infrastruktur begonnen, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser zu sichern. Viele der Separatisten hätten sich ergeben und den Sicherheitskräften Waffenverstecke genannt. Andere seien aber auch aus Slawjansk und dem nahe gelegenen Kramatorsk nach Donezk geflohen, wo sie die erste „Volksrepublik“ ausgerufen hatten.

Der Separatisten-Anführer Alexander Borodai erklärt, die Rebellen würden sich auf vorbereitete Positionen zurückziehen. Im Umfeld der Kämpfer wird der Rückzug mit einer drückenden Überlegenheit der Armee bei Slawjansk begründet. In den seit drei Monaten anhaltenden und nur von kurzen Feuerpausen unterbrochenen Kämpfen kamen mehr als 200 ukrainische Soldaten sowie Hunderte Rebellen und Zivilisten ums Leben.

Die Aufständischen, die sich in Donzek verschanzen, glauben weiter an ihre Sache. „Einen Schritt zurücktreten heißt nicht verlieren“, sagte Juri Sewokonenko. Er hat einen Trupp von Freiwilligen aus den ehemaligen Berkut-Sondereinheiten der im Februar gestürzten prorussischen Führung des Landes um sich geschart. Sewokonenko fürchtet sich nicht vor einem Ansturm des ukrainischen Militärs auf Donezk. „Wir sind längst vorbereitet – wenn sie glauben, das wäre ein leichte Sache, dann irren sie sich.“

Der Gedanke, dass das ukrainische Militär an Plänen zur Einnahme von Donezk arbeitet, macht sich allmählich breit. Es sei „möglich“, dass sich die Truppen um die größte Hochburg der Aufständischen zusammenziehen, sagt der „Vize-Ministerpräsident“ der von den Separatisten ausgerufenen „Volksrepublik Donezk“, Andrej Purgin. „Das ist Krieg, die Leute schlagen sich, sie bewegen sich, sie schließen sich neu zusammen.“ Eine Belagerung von Donezk könnte eine logische Fortentwicklung sein. Draußen vor der Stadt sei im Gefecht ein Kanal zerstört worden, bemerkt Purgin bitter. Die Stadt werde „in einer Woche“ von der Wasserversorgung abgeschnitten sein.

Russland fordert angesichts der Lage die Führung in Kiew mit Nachdruck zu Verhandlungen mit den Aufständischen auf. Es sei „zutiefst beunruhigend“, dass die vereinbarten Gespräche mit den militanten Gruppen noch nicht stattgefunden hätten, sagt Außenminister Sergej Lawrow in einem Telefonat mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Bei einem Treffen müsse eine neue Waffenruhe in dem krisengeschüttelten Nachbarland vereinbart werden, betont Lawrow einer Mitteilung des Außenministeriums in Moskau zufolge. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sei weiter zur Vermittlung solcher Gespräche bereit. Ein Treffen sei nötig, um weitere Zerstörung und zivile Opfer zu verhindern, sagt er.

Die ukrainische Führung in Kiew reagiert auf den Appell zu Verhandlungen über eine Feuerpause zurückhaltend. „Bei den Gesprächen kann es eigentlich nur um die bedingungslose Waffenabgabe der Kämpfer sowie um die Freilassung der Gefangenen gehen“, sagt Andrej Lyssenko vom Nationalen Sicherheitsrat.