Die Lage im Nahen Osten gerät nach gegenseitiger Lynchjustiz zunehmend außer Kontrolle

Tel Aviv. Im Fall des in Ost-Jerusalem entführten und ermordeten palästinensischen Jugendlichen sind „jüdische Extremisten“ als Verdächtige festgenommen worden. Das wurde von einer offiziellen israelischen Quelle bestätigt, die aufgrund einer Nachrichtensperre anonym bleiben wollte. Auch Polizeisprecherin Luba Samri hatte angedeutet: „Es gibt Hinweise, dass nationalistische Motive den Hintergrund der Tat bilden.“

Der 16-jährige Mohammed Abu Chder war am Mittwoch auf dem Weg zur Moschee verschleppt worden. Kurz darauf wurde seine Leiche am Stadtrand von Jerusalem im Wald gefunden. Palästinensische Autopsie-Ergebnisse wiesen aus, dass der Junge offenbar bei lebendigem Leib verbrannte. Von Beginn an wurde vermutet, dass es sich um einen Racheakt für die Verschleppung und Ermordung von drei israelischen Teenagern Mitte Juni handelte. Sicher ist: Einen solchen Gewaltausbruch hat Israel seit Jahren nicht mehr erlebt. Aber ist das schon der Beginn einer neuen Intifada, wie einige Beobachter fürchten? Der Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, Tamir Pardo, sagte der Zeitung „Ha’aretz“, nicht das iranische Atomprogramm sei die größte Bedrohung für Israel, sondern der Konflikt mit den Palästinensern.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu forderte seine Minister auf, kühlen Kopf zu bewahren. „Aller Erfahrung nach müssen wir in solchen Momenten verantwortungsvoll und mit kühlem Kopf handeln, und nicht ungestüm und mit harschen Worten reagieren“, so der Ministerpräsident zu Beginn der sonntäglichen Kabinettssitzung. In einer Botschaft an die Familie von Abu Chder versprach Netanjahu, die Täter des „schockierenden Verbrechens“ würden zur Verantwortung gezogen. Während die israelische Polizei sich in ihrer Reaktion meist um Deeskalation bemühte, kann man das von anderen Einheiten – deren Einsatzgebiet normalerweise im Westjordanland liegt – nicht unbedingt behaupten. Filmaufnahmen kursieren, auf denen zu sehen ist, wie ein junger Palästinenser von zwei Grenzpolizisten brutal zusammengeschlagen wird. Pikant daran ist, dass dieser Junge Tarik Abu Chder heißt und nicht nur ein 15 Jahre alter Cousin des ermordeten Mohammed Abu Chder, sondern auch US-Bürger ist, der in Florida lebt und erstmals seit zehn Jahren zu Besuch bei seinen Verwandten in Ost-Jerusalem weilt.

Auch wenn die Polizei recht hat mit der Behauptung, bei dem jungen Mann sei eine Steinschleuder gefunden worden und er habe sich der Festnahme widersetzt, rechtfertigt das keinesfalls Prügel für einen am Boden liegenden Jugendlichen. Die nun veröffentlichten Bilder machen jedenfalls die Behauptung sehr unwahrscheinlich, die Verletzungen seien bei einem Gerangel mit zwei Polizisten entstanden.