Regierung verlegt Panzer und Infanterieeinheiten an die Grenze zum Gazastreifen – zunächst nur eine Drohgebärde an die Hamas

Jerusalem. Spätestens seit Israel am Donnerstagmittag Panzer- und Infanterieeinheiten an die Grenze zum Gazastreifen verlegt hat, scheint ein neuer Krieg in dem kleinen Streifen Land am Mittelmeer nicht mehr undenkbar. Es wäre nicht der erste Krieg in der Region, den eigentlich keine der Konfliktparteien wirklich will.

So soll der Exilchef der Hamas, Chaled Meschal, den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gebeten haben, Israel von massiven Luftangriffen gegen den Gazastreifen abzubringen. Die Hamas sei an einer Eskalation uninteressiert und wolle den nach der Auseinandersetzung im November 2012 ausgehandelten Waffenstillstand weiter wahren, sollte die Türkei den Israelis mitteilen.

Allerdings werden aus dem Gazastreifen täglich etwa ein Dutzend Raketen nach Israel abgefeuert. Zwei Geschosse konnte das Raketenabwehrsystem „Eiserne Kuppel“ am Donnerstagmorgen auf dem Weg in die Stadt Netivot vom Himmel holen. In Sderot aber schlugen zwei Raketen in zwei Häusern ein und richteten Sachschaden an. Verletzt wurde niemand, weil eine Bewohnerin mit ihren vier Kindern in einen sicheren Raum geflüchtet war. Eine Sprengladung in der Nähe eines Kindergartens explodierte nicht und konnte entschärft werden. Die israelische Luftwaffe wiederum bombardierte 15 Ziele im Gazastreifen, darunter nach Armeeinformationen Abschussvorrichtungen, Trainingsgebiete und Waffenlager. Bei den Angriffen sollen zehn Menschen verletzt worden sein, eine Frau befinde sich in Lebensgefahr. Dennoch stellte ein hochrangiger israelischer Armeevertreter am Donnerstagnachmittag klar, Israel habe kein Interesse an einer Eskalation. Sollte die Hamas das Feuer einstellen, werde auch Israel keine Angriffe mehr fliegen. Die israelischen Maßnahmen seien defensiver Natur. Es ist deshalb durchaus möglich, dass die israelischen Truppenkonzentration an der Grenze zunächst eine Drohgebärde ist. Denn weder Verteidigungsminister Mosche Jaalon noch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wollen eine Bodenoffensive oder eine Ausweitung der Luftschläge.

Dreimal ist das Sicherheitskabinett zusammengetroffen, seit am Montag die Leichen der drei am 12. Juni entführen israelischen Jugendlichen gefunden wurden. Teilweise muss es bei den Sitzungen hoch her gegangen sein: Außenminister Awigdor Lieberman habe die Wiederbesetzung des Gazastreifens verlangt, heißt es, Wirtschaftsminister Naftali Bennett wollte einen Krieg vom Zaun brechen. „Du wirst mit dem Fuß gegen die Wand treten und irgendwann merken, dass du barfuß bist und dir das Bein wehtut“, versuchte der Verteidigungsminister ihn zu warnen. Vergebens. Bennett von der Rechtspartei „Das jüdische Haus“ hat gegenüber Netanjahu einen großen Vorteil: Er kann extreme Maßnahmen fordern, ohne die Folgen fürchten zu müssen.

Netanjahu, der in militärischen Dingen entgegen seinem Ruf als Hardliner zu Vorsicht und Zurückhaltung neigt, möchte weder israelische Soldaten nach Gaza schicken noch Raketen über Tel Aviv sehen. Und auch im Westjordanland ist es kein Geheimnis, dass die Israelis in den vergangenen zwei Wochen gegen die Hamas viel erreicht haben.

Dennoch war die Situation in Nahost lange nicht mehr so gefährlich. Nicht nur an der Grenze zum Gazastreifen könnte es zur Explosion kommen, auch in Jerusalem bleibt die Situation angespannt. Auf den Straßen im arabischen Viertel Schuafat sind noch die Folgen der gestrigen Straßenschlacht zu sehen. Die Straßenbahnhaltestelle ist zerstört, das zersplitterte Glas liegt auf dem Boden. Ausgebrannte Müllcontainer stehen am Straßenrand, verkohlte Autoreifen liegen im Gebüsch. Hier haben sich am Mittwoch wütende arabische Jugendliche mit der Polizei angelegt, nachdem die verbrannte Leiche eines 16-jährigen arabischen Jungen im Wald gefunden worden war.

Am Donnerstag ist es wieder still in Schuafat. Im Haus der Familie Abu Chedir wimmelt es von Besuchern. Die Trauer ist groß, die Wut und das Misstrauen gegen die Israelis auch. Er habe seinen Sohn nicht einmal sehen dürfen, beschwert sich der Vater. Man habe ihm gesagt, der Körper sei verbrannt. Dass man ihn vielleicht nur vor dem Anblick schützen wollte, kann er nicht glauben.

Später kommt die Nachricht, die Autopsie werde sich verzögern. Ein auf Wunsch der Familie teilnehmender Arzt aus Ramallah sei eineinhalb Stunden am Checkpoint aufgehalten worden und als er ankam, gab es prozedurale Schwierigkeiten. Und den Beerdigungszug will die Polizei aus Angst vor Ausschreitungen nicht vom Tempelberg losziehen lassen. Die könnte es trotzdem geben, wenn Muhammed Abu Chedir wahrscheinlich nach dem wöchentlichen Freitagsgebet beerdigt wird.