US-Außenminister kritisiert in Bagdad, dass Nuri al-Maliki zu viele Fehler gemacht hat. Isis-Terrormilizen erobern Grenzübergang zu Jordanien

Bagdad. Die USA erhöhen angesichts des Vormarschs radikaler Moslems im Irak den Druck auf Ministerpräsident Nuri al-Maliki. US-Außenminister John Kerry machte bei einem Besuch in Bagdad hinter den Kulissen deutlich, dass ein Rücktritt Malikis für die Zukunft des Landes besser wäre, wie irakische Regierungsvertreter am Montag berichteten. Offiziell vermeiden die USA jedoch Empfehlungen für die anstehende Regierungsbildung in Bagdad. Im Westen des ölreichen Landes nahmen derweil sunnitische Stammeskrieger den einzigen Grenzübergang nach Jordanien ein. Damit hat die Regierung die Kontrolle über die gesamte West- und Nordgrenze nach Syrien und Jordanien verloren.

Die Atmosphäre bei dem Besuch Kerrys war betont frostig. Entgegen den diplomatischen Gepflogenheiten wechselten der Minister und Maliki beim öffentlichen Pressetermin kaum Worte. Mehrere hochrangige irakische Politiker, darunter Angehörige von Malikis eigener Partei, erklärten nach dem Treffen, Kerry habe in der Sprache der Diplomaten deutlich gemacht, dass Washington einen Amtsverzicht des Regierungschefs begrüßen würde.

Die USA werfen dem Schiiten Maliki vor, die Sunniten an den Rand gedrängt und damit in die Arme der radikalen Isis-Miliz getrieben zu haben. Dies sei ein entscheidender Grund für den Blitzfeldzug der sunnitischen Terror-Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis) von Norden nach Süden durch sunnitische Gebiete bis rund 100 Kilometer vor Bagdad an die Grenze der Siedlungsgebiete der Schiiten. Kuwait zog angesichts der wachsenden Bedrohung sein Botschaftspersonal aus Bagdad ab. „Wenn die Situation wieder stabil und normal ist, kommen wir zurück“, kündigte ein Vertreter des Außenministeriums an.

Al-Maliki lehnt einen Rücktritt jedoch ab. Laut dem Nachrichtenportal „Al-Sumaria“ sagte er am Montag beim Treffen mit Kerry, die stärkste politische Kraft im Land müsse die nächste Regierung bilden. Al-Maliki war aus den Parlamentswahlen im Mai mit seiner Rechtsstaats-Allianz als Sieger hervorgegangen, benötigt aber Partner für eine Mehrheit. Der Regierungschef ist seit 2006 im Amt. Bereits am Wochenende hatte Kerry eine Regierung der nationalen Einheit gefordert und erklärt, den USA sei die Unzufriedenheit der Sunniten, Kurden und von Teilen der Schiiten mit Maliki nicht entgangen.

Der Iran, der sich als Schutzmacht der Schiiten versteht, warnte die USA vor einer Einmischung. „Wir lehnen entschieden jede Intervention der USA oder anderer Mächte im Irak ab“, erklärte das geistliche Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei. Damit dämpfte er Spekulationen, die USA könnten abgestimmt mit dem Iran gegen Isis vorgehen.

Ein Vertreter der sunnitischen Stammeskrieger, die den Grenzübergang Turaibil nach Jordanien besetzt halten, erklärte, die Kontrollstelle solle an Isis übergeben werden. Derzeit werde mit den Kämpfern verhandelt, um die Sicherheit der Angestellten des Grenzpostens zu erreichen.

Jordanien hat nach Angaben von Militärangehörigen die Truppen entlang der 181 Kilometer langen Grenze zum Irak in Alarmbereitschaft versetzt. Mit der Eroberung des Grenzgebietes dürfte Isis dem selbst gesteckten Ziel näherkommen, auf dem Territorium Syriens und Iraks einen Gottesstaat zu errichten, dessen Bewohner sich einer radikalen orthodox-sunnitischen Lebensführung unterwerfen müssen. In Jordanien mit seinem starken Militär und Geheimdienst haben es die Dschihadisten indes weit schwerer als in den Nachbarländern. Aber auch dort haben sie Anhänger. Dass die geschätzt 10.000 Isis-Kämpfer es wagen könnten, über die Grenze nach Jordanien einzumarschieren, halten Politiker und Experten allerdings für unwahrscheinlich. Am Ende sei Isis für Jordanien eher ein „Ärgernis“ als eine reale Bedrohung, sagt Ex-Außenminister Warwan Muascher. „Wir haben eine starke Armee und einen starken Geheimdienst. Man kann also die Bedrohung, die sie für einen Staat wie Syrien oder auch den Irak darstellten, nicht mit der Bedrohung gleichsetzen, die sie für Jordanien sein könnten.“ Ramsi Mardini vom Think Tank Atlantic Council in Amman hat eine andere Einschätzung. „Am besorgniserregendsten ist, dass diese radikale Gruppe innerhalb Jordaniens bereits Zellen hat“, sagt Mardini. Eine solche wurde vergangenen Freitag angeblich auch im Libanon zerschlagen. 17 mutmaßliche Isis-Mitglieder wurden dabei festgenommen.

Die EU fürchtet durch den Konflikt im Irak eine Destabilisierung der angrenzenden Staaten. „Wir müssen über die Folgen der Ereignisse sprechen, nicht nur im Irak, sondern in der weiteren Region“, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Montag beim Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg. „Ich hoffe, dass die Nachbarn des Irak ihr Interesse erkennen, dass die territoriale Integrität als Staat gewährleistet bleibt, und ihre politischen Ziele darauf ausrichten“, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). „Worauf es jetzt ankommt, ist die Bildung einer Regierung im Irak, die alle Regionen und alle Religionen einschließt“, mahnte Steinmeier. „Die Situation ist außerordentlich schwierig“, sagte auch Spaniens Außenminister José Manuel Garcia Margallo. „Die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten ist auf ihrem Höhepunkt.“