Britischer Premier will beim EU-Gipfel klare Verhältnisse. Sozialdemokraten stützen den Luxemburger

London/Brüssel. Der britische Premierminister David Cameron will im Streit über die Berufung Jean- Claude Junckers zum neuen EU-Kommissionschef nicht einlenken und eine Abstimmung erzwingen. Wenn es die Bereitschaft gebe, einen Alternativkandidaten zu suchen, dann solle die Entscheidung vertagt werden, sagte ein Regierungsmitarbeiter am Sonntag in London. Wenn es diese Bereitschaft „trotz vielfach geäußerter Bedenken“ gegen Juncker nicht gebe, „dann sollte es zur Abstimmung kommen“.

Die EU-Staats- und Regierungschefs treffen sich ab Donnerstag in Brüssel zu einem Gipfel, bei dem die Personalie auf der Tagesordnung steht. Der Rat muss sich mit qualifizierter Mehrheit auf einen Kandidaten einigen, der dann noch vom EU-Parlament bestätigt werden muss. Cameron versucht seit Wochen, Junckers Berufung zu verhindern. Nach seiner Darstellung ist der frühere luxemburgische Regierungschef nicht der Richtige, um die von London verlangte tief greifende EU-Reform einzuleiten.

Am Sonnabend hatten sich in Paris neun sozialdemokratische Regierungschefs hinter Juncker gestellt, obwohl dieser der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angehört und deren Spitzenkandidat bei der Europawahl war. Die Chance des konservativen Cameron, im Rat eine Sperrminorität gegen den Luxemburger zu schmieden, ist damit weiter gesunken.

Der Premierminister halte es aber für „wichtig, dass jeder Staats- und Regierungschef seine Position klar darlegt“, verlautete am Sonntag aus britischen Regierungskreisen. Deswegen sei eine Abstimmung erforderlich. Für Downing Street würden die Regierungen bei einer Berufung Junckers durch einen „Hinterzimmer-Deal“ ihre Macht dem Parlament übertragen, was nicht akzeptiert werden könne.

Hintergrund von Camerons Widerstand gegen Juncker ist auch die tiefe EU-Skepsis in der britischen Bevölkerung. Sollte er im kommenden Mai wiedergewählt werden, dann will Cameron die Briten 2017 über einen Ausstieg aus der EU oder einen Verbleib in der Gemeinschaft abstimmen lassen. Laut einer Umfrage des „Observer“ würden derzeit 48 Prozent für den Ausstieg und 37 Prozent für den Verbleib in der EU stimmen.

Wegen des Gezerres um den EU-Stabilitätspakt steht die Kooperation zwischen Konservativen und Sozialdemokraten im EU-Parlament womöglich vor der Zerreißprobe. Die Zusammenarbeit sei zwar gewollt, „aber dann nicht denkbar, wenn der Euro aufgeweicht werden soll“, sagte der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS). „Das ist eine rote Linie.“ Weber warnte insbesondere SPD-Chef Gabriel, in der Debatte zu „überziehen“. Mit der EVP-Fraktion werde es eine Aufweichung der Stabilitätskriterien nicht geben, sagte er der Zeitung.

Gabriel und neun sozialdemokratische Staats- und Regierungschefs hatten bei ihrem Treffen in Paris auch über den Stabilitätspakt beraten. Dabei herrschte Einigkeit, dass das Regelwerk an sich nicht verändert werden solle, sagte der Wirtschaftsminister und Vizekanzler im Anschluss. Dafür sei aber die Formel „Reformen gegen Zeit beim Defizitabbau“ von allen mitgetragen worden. Wegen der Meinungsverschiedenheiten steht laut FAS infrage, ob die EVP den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, Martin Schulz (SPD), zum Parlamentspräsidenten wählt. Dafür hatte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) starkgemacht, nachdem Gabriel am Freitag davon abgesehen hatte, einen Kommissionsposten für Schulz zu verlangen.