Der Druck auf Regierungschef Nuri al-Maliki wächst jetzt auch im eigenen Land

Washington/Bagdad. Nach dem massiven Vormarsch der Terrormiliz Isis bereiten die USA im Eiltempo Militärschläge im Irak vor. Die ersten der 300 Soldaten sollen laut „New York Times“ bereits in den nächsten Tagen im Irak eintreffen und mögliche Ziele für Luftangriffe gegen die Terrormiliz prüfen. Die Islamisten verbreiten seit Anfang vergangener Woche Angst und Schrecken in dem arabischen Land und stellen Bilder von Massenexekutionen ins Internet. Sie haben Dutzende Menschen, zumeist Ausländer, in ihrer Gewalt und könnten diese für Austauschaktionen oder als menschliche Schutzschilde missbrauchen.

Zweieinhalb Jahre nach dem Ende des Irakkrieges betonte US-Präsident Barack Obama nach einem Treffen mit Top-Sicherheitsberatern im Weißen Haus zugleich, es sollten keine Kampftruppen in den Irak zurückkehren. US-Kommentatoren zeigten sich am Freitag allerdings skeptisch: Auch der Vietnamkrieg hatte seinerzeit mit der Entsendung von Militärberatern begonnen, erinnerten sie.

Eine Schlüsselfigur im Irak-Konflikt ist der umstrittene Regierungschef Nuri al-Maliki, der zu Beginn des Islamistensturms hilflos wirkte. Erst unter dem Druck der sunnitischen Milizen nahm der Schiit Gespräche mit führenden Vertretern der Minderheit auf. Die Sunniten werden von der schiitisch dominierten irakischen Regierung seit Jahren von allen wichtigen politischen Posten ferngehalten. Das Oberhaupt der Schiiten, Großajatollah Ali al-Sistani, rief al-Maliki am Freitag zur raschen Bildung einer neuen Regierung auf, die von der ganzen Nation akzeptiert werde.

US-Außenminister John Kerry reist vermutlich schon an diesem Wochenende in die Region, um den Konflikt diplomatisch zu entschärfen. Obama sagte, die Bildung einer neuen Regierung wäre eine Chance, einen wirklichen Dialog zwischen den Kräften aller Iraker herzustellen. Der US-Präsident nahm al-Maliki in die Pflicht. Es sei entscheidend, ob das tiefe Misstrauen zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden und politischer Opportunismus überwunden werden können, sagte er. Auch der Iran könne hier konstruktiv mithelfen. Obama: „In diesem Moment steht das Schicksal des Iraks auf Messers Schneide.“

Die iranische Regierung, die aufseiten des schiitischen Bevölkerungsteils im Nachbarland Irak steht, zeigte sich allerdings enttäuscht von den Ankündigungen des US-Präsidenten. Obama fehle der „ernsthafte Wille, den Terrorismus im Irak und in der Region zu bekämpfen“, sagte Vize-Außenminister Hossein Amir Abdollahian am Freitag laut staatlichen iranischen Medien. „Verzögerungen im Kampf gegen den Terrorismus und Isis sowie dazu gestellte Bedingungen haben Argwohn und Zweifel zu den Zielen der Vereinigten Staaten im Irak gesät“, sagte Abdollahian. Anstatt die nationale Einheit und die Regierung zu stärken, treibe Washington einen Keil zwischen unterschiedliche Gruppen im Irak.

Die USA verstärkten massiv ihre Aufklärungsflüge über dem Irak. Es habe bereits weit mehr als 30 bemannte und unbemannte Erkundungsflüge gegeben, berichtete die „New York Times“ unter Berufung auf namentlich nicht genannte Beamte. Auch F-18-Kampfjets seien darunter. Die Piloten seien von einem Flugzeugträger im Persischen Golf sowie von Stützpunkten in der Region gestartet.

Obama sagte, Ziel sei es, einen Bürgerkrieg im Irak zu verhindern, der die ganze Region destabilisieren könnte. Auch dürfe kein Rückzugsgebiet für Extremisten entstehen, die von dort Anschläge auf die USA planen und umsetzen könnten. Der TV-Sender CNN hatte zuvor gemeldet, bei den Militärberatern handele es sich um Eliteeinheiten, die für Einsätze unter härtesten Bedingungen ausgebildet seien, etwa die Navy Seals. Diese hatten im Mai 2011 Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden aufgespürt und getötet.

Großajatollah Ali al-Sistani rief die „Iraker aller Glaubensrichtungen“ erneut zum Kampf gegen Isis auf. Über seinen Vertreter, Ahmed al-Safi, ließ er in der Stadt Kerbela verkünden: „Isis ist eine böse Kraft. Wenn wir sie heute nicht besiegen, werden wir das morgen bereuen.“ Iraks Regierung bereitete nach eigenen Angaben eine Offensive gegen Isis in den Städten Mossul und Tikrit vor.

Nach Angaben aus Bagdad sollen sich inzwischen zwei Millionen Iraker freiwillig zum Kampf gegen Isis bereit erklärt haben, die bis auf 60 Kilometer an die stark gesicherte Hauptstadt herangerückt ist. Nach den USA hat auch Australien zum Schutz seiner Botschaft in Bagdad Soldaten in den Irak geschickt. Das Auswärtige Amt in Berlin teilte mit, es beobachte die Lage im Irak. Die Sicherheitsmaßnahmen für Botschaftsmitarbeiter in Bagdad würden entsprechend angepasst.

Für einen Militäreinsatz der USA gegen Isis wäre nach Einschätzung von Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon kein Mandat des Weltsicherheitsrates erforderlich. Die Lage im Irak verschlechtere sich täglich, sagte er der „Neuen Zürcher Zeitung“. Das russische Außenministerium betonte dagegen, mögliche Luftschläge auf Ziele im Irak seien nur mit einem Mandat des Uno-Sicherheitsrats legitim.

Nach Uno-Angaben ist die Lage Hunderttausender Flüchtlinge besorgniserregend. Bislang hätten etwa eine halbe Million Frauen, Kinder und Männer aus Furcht vor Übergriffen der Islamisten die zweitgrößte irakische Stadt Mossul verlassen, teilte das Uno-Büro für die Koordinierung von Nothilfe mit. Zehntausende weitere Menschen seien aus den benachbarten Provinzen Dijala und Salaheddin geflohen. Die Kinderhilfsorganisation Unicef rief für den Irak die höchste internationale Alarmstufe aus. Ohne massive Hilfe drohe eine humanitäre Katastrophe.

Die Bundesregierung prüft nach eigenen Angaben nun eine Aufstockung der Hilfen für die Flüchtlinge im Irak. Gemeinsam mit dem Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR werde man untersuchen, welche weiteren Programme für Menschen auf der Flucht in diesem Jahr gefördert werden könnten, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Freitag in Berlin. „Die aktuelle Zuspitzung der Flüchtlingssituation im Irak wird bei der Prioritätensetzung berücksichtigt.“ Die Grünen hatten der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe 2013 die Zahlungen an das UNHCR im Irak eingestellt.