Getreue Saddam Husseins und sunnitische Milizen wollen den Sturz von Premier Maliki, die Kurden einen eigenen Staat

Bagdad. Der handstreichartige Erfolg der Kommandos vom „Islamischen Staat in Irak und Syrien (Isis)“ wäre undenkbar, hätten die Angreifer nicht auf irakischem Boden wichtige Verbündete – vor allem alte Getreue von Saddam Hussein, sunnitische Milizen und Stammesführer sowie Teile der normalen Bevölkerung. Alle diese Kräfte eint ein gemeinsames Ziel, sie wollen ein Ende der schiitischen Machtdominanz und ein Sturz von Premier Nuri al-Maliki. Umgekehrt hat die rasche Mobilisierung der schiitischen Milizen schlagartig offengelegt, wie einsatzfähig diese inoffiziellen Verbände sind. Auch die Kurden haben mit den Peschmerga eine potente Streitmacht, der es bisher gelang, ein Übergreifen von Chaos, Kämpfen und Blutvergießen auf den halbautonomen Nordirak zu verhindern.

Wer sind die wichtigsten Gruppen in diesem erbitterten irakischen Machtkampf, der in einem Zerfall des Landes enden könnte?

Die sunnitische Koalition

Die 3000 bis 5000 Isis-Angreifer, die Mehrheit von ihnen Iraker, sind die treibende Kraft des Geschehens. Die Terrorgruppe ist nach innen straff organisiert, ihre islamistische Scharia-Ideologie ist noch extremer als al-Qaida. Die finanziellen Mittel stammen überwiegend aus Kreisen reicher Bürger in Saudi-Arabien, Katar und Kuwait. Isis kontrolliert zudem Ölquellen im Osten Syriens, deren Förderung sie teilweise an das Assad-Regime verkauft. Im Irak werden die Gotteskrieger unterstützt von zahlreichen sunnitischen Stämmen und Guerillagruppen, die jahrelang gegen die US-Besatzer gekämpft haben, angefangen von al-Qaida, über Jaysh al-Muhammad, Ansar al-Sunnah sowie die Naqshbandi-Armee, dem bewaffneten Arm der verbotenen Baath-Partei.

Kopf und wichtigster Stratege der ehemaligen Saddam-Gefolgsleute ist Izzet Ibrahim al-Duri, einer der ganz wenigen aus der Führungscrew des Diktators, den die US-Besatzer niemals fassen konnten. Duri war Saddam Husseins Vizepräsident und von Anfang an im Widerstand gegen die US-Armee aktiv. Der 71-Jährige ist bestens vernetzt mit den Scheichs der mächtigen sunnitischen Clans, kennt zudem Hunderte der 2003 von den Amerikanern davongejagten Offiziere, die den angreifenden Extremisten nun mit militärischem Know-how helfen. Duri gilt als strenggläubiger Muslim, was ihn bei den ultraislamistischen Isis-Kämpfern als Partner gegen Maliki akzeptabel macht. Sein Sohn wurde kürzlich bei einem Angriff irakischer Kampfhubschrauber auf Falludscha getötet, das bereits seit fünf Monaten in den Händen der Gotteskrieger ist.

Die schiitische Koalition

Die wichtigsten schiitischen Milizen sind die Kataibe-Brigade, die Assaub-Brigade, die Imam-al-Sadr-Brigade sowie die Mahdi-Armee, deren Kämpfer in der Regel im Iran in Ausbildungslagern der Revolutionären Garden trainiert wurden. Einzig die Mahdi-Armee wurde nach Ende des irakischen Bürgerkriegs offiziell aufgelöst, nachdem Nuri al-Maliki sie 2008 in einem Feldzug von der irakischen Armee niederwerfen ließ. Die übrigen drei Verbände verfügen momentan jeweils über 2500 bis 3000 Mann, die allerdings ausgezeichnet bewaffnet sind. Tausende weiterer Kämpfer sind in Syrien an der Seite von Baschar al-Assad im Einsatz. Diese Milizen sichern zusammen mit der diskreditierten irakischen Polizei und Armee die Städte Samarra und Bagdad, sodass sich die militärische Lage vor den Toren der Hauptstadt etwas stabilisiert hat. Hinzu kommen Zehntausende Freiwillige, die jedoch wenig Kampferfahrung haben.

Die Kurden

Die kurdische Peschmerga haben die Grenzkontrollen zwischen dem halbautonomen Nordirak und dem übrigen irakischen Staatsgebiet erheblich verstärkt. Ihre Streitmacht umfasst mehr als 100.000 Mann. Teilverbände rückten unmittelbar nach Beginn der Isis-Offensive in die Stadt Kirkuk ein, wo die viertgrößten Ölfelder Iraks liegen, auf die die Kurden seit langem Anspruch erheben. Die Krise hat die Kurden quasi über Nacht zu den neuen Herren der umstrittenen Stadt gemacht. Die irakische Armee ist aus Kirkuk abgezogen. In den letzten Tagen kam es jedoch auch in Kirkuk zu vereinzeltem Raketenbeschuss durch die schwarzen Gotteskrieger.

Die irakischen Streitkräfte

Die irakische Armee besteht aus 14 Divisionen mit 270.000 Mann unter Waffen, von denen vier Divisionen in den ersten Tagen der Offensive komplett zusammengebrochen sind. In diesen Einheiten dienten überproportional viele Sunniten und Kurden, die keinerlei Neigung hatten, ihr Leben für die verhasste Regierung von Nuri al-Maliki zu riskieren. Umgekehrt waren im Norden des Irak stationierte schiitische Soldaten wenig motiviert, für die Verteidigung überwiegend sunnitischer Städte wie Mosul, Tikrit oder Bayji zu kämpfen. Der in das kurdische Erbil geflohene Gouverneur von Mosul, Athil al-Nujaifi, berichtete, noch am Vorabend des Angriffs hätten ihm der Chef des irakischen Heeres sowie sein Stellvertreter in der Provinz Ninive versichert, die Armee habe alles im Griff, und er solle sich keine Sorgen machen. Am nächsten Morgen waren beide spurlos verschwunden zusammen mit der Mehrzahl ihrer Offiziere. Die irakische Armee ist relativ modern ausgerüstet und wurde jahrelang von US-Ausbildern trainiert. Für die morsche Struktur und niedrige Moral der Truppe sind vor allem die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten verantwortlich, aber auch inkompetente Führungskräfte, Korruption, mangelnde Disziplin und schlampige Wartung des Geräts.