Preisverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gescheitert. EU-Kommissar befürchtet Versorgungsschwierigkeiten im Winter auch im Westen

Brüssel. Eineinhalb Monate Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine unter Vermittlung von EU-Energiekommissar Günther Oettinger waren also vergeblich. Zahlreiche Aussagen, es gebe eine Annäherung und einen Kompromiss, erwiesen sich am Ende als nichtig. Am Montag um acht Uhr morgens lief das Ultimatum ab, das der russische Gaskonzern Gazprom der Ukraine gegeben hatte, um ihre milliardenschweren Gasschulden zu begleichen. Nun will Russland der Ukraine ab sofort nur noch gegen Vorkasse Gas liefern und hat umgehend seine Gaslieferungen eingestellt. Die Lieferungen seien „auf null“ reduziert worden, teilte der ukrainische Energieminister Juri Prodan mit. Zugleich betonte er, dass die Ukraine den Transit von russischem Gas für Europa fortsetzen werde.

Für Europa kann diese Eskalation im Gasstreit im kommenden Winter zu einem großen Problem werden. „Wenn die Speicher jetzt nicht gefüllt werden, bekommen wir alle im Winter möglicherweise ein Problem“, sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger in Wien. Der Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland könnte sich auf diese Weise im Winter europaweit auswirken. Er werde deshalb darauf dringen, dass die Gaswirtschaft die momentan etwas mehr als halb vollen Speicher fülle, sagte Oettinger. Russland selbst sieht ebenfalls „signifikante Risiken“ für die europäische Gasversorgung. „Es gibt sie, und sie sind nicht unerheblich“, sagte Gazprom-Chef Alexej Miller.

Die Lage scheint auch im sonst so überlegen wirkenden Moskau für Hektik und Nervosität zu sorgen. Aus russischen Regierungskreisen verlautete nämlich, dass Miller, Energieminister Alexander Nowak und Präsident Wladimir Putin noch am Montag zusammenkommen würden, um eine Entscheidung in der Gasfrage zu treffen. Dass Russland sich um die Versorgung der Ukraine Sorgen macht, scheint angesichts der ohnehin verfahrenen politischen Situation und der Krim-Annexion wenig wahrscheinlich. Was Moskau am ehesten Sorge bereiten dürfte, ist der Transit des russischen Gases nach Europa. Dort hat Gazprom im vergangenen Jahr 161,5 Milliarden Kubikmeter zu einem lukrativen Durchschnittspreis von 387 Dollar je 1000 Kubikmeter verkauft. Mit diesen Geschäften deckt Russland knapp ein Drittel des europäischen Gasbedarfs. Und auch wenn der Transit durch die Ukraine in den vergangenen fünf Jahren deutlich zurückgegangen ist, so fließt heute immer noch die Hälfte des russischen Exports nach Europa durch die Ukraine. Fürs Erste haben sowohl Gazprom als auch der staatliche ukrainische Gaskonzern Naftogaz ans Internationale Schiedsgericht in Stockholm appelliert. Gazprom verlangt Schuldennachzahlungen von 4,5 Milliarden Dollar, die Ukraine ihrerseits von Gazprom die Rückzahlung von sechs Milliarden Dollar wegen angeblich überhöhter Preise in den vergangenen fünf Jahren. Schließlich ist es auch der Gaspreis gewesen, über den man seit Anfang Mai wie wild verhandelte und bei dem es immerhin so weit eine Annäherung gab, dass die Ukraine 326 Dollar für 1000 Kubikmeter Gas zu zahlen bereit war und Russland nur noch 385 Dollar verlangte. Noch im April hatte die Ukraine auf 268 Dollar bestanden, während Russland die vertraglich fixierten 485 Dollar verlangt hatte.

Ein Schiedsspruch aus Stockholm wird möglicherweise längerfristig eine Lösung bringen können, aber für eine Entscheidung werden die Richter ein bis zwei Jahre brauchen. Was dem europäischen und ukrainischen Gasmarkt derweil im kommenden Winter bevorsteht, ist dagegen noch unklar. Nicht zufällig hat Gazprom laut Unternehmenskreisen Beeinträchtigungen bei Gaslieferungen für die EU-Staaten nicht ausgeschlossen. Und wie schon bei früheren Gaskonflikten hat Gazprom betont, dass die mit den Europäern vertraglich vereinbarten Mengen weiterhin zu Transitzwecken in die Ukraine geleitet werden. Der Transit über die Ukraine ist so geregelt, dass die Ukraine das im Sommer aus Russland erhaltene Transitgas in die unterirdischen Speicher der Westukraine pumpt. Im Winter, wenn mit den Gaslieferungen aus Russland auch der Bedarf in der Ost-Ukraine gedeckt werden muss und deshalb weniger nach Europa fließt, entnimmt die Ukraine das Gas, um es in die Exportpipelines nach Europa zu speisen.

Zur Unterstützung des Transits müssen fünf bis sieben Milliarden Kubikmeter Gas in den Speichern bereitstehen. Für den innerukrainischen Winterbedarf müssten es zusätzlich an die 14 Milliarden Kubikmeter sein. Derzeit sind nur knapp 13 Milliarden Kubikmeter eingelagert. Sollten die Speicher nicht aufgefüllt werden, so hätten im Winter wie schon beim Gaskonflikt 2009 vor allem die südeuropäischen Staaten Italien und der Balkan darunter zu leiden, weil der Druck in den Pipelines nicht ausreichen dürfte. Osteuropäische Staaten wie die Slowakei oder Polen wären teilweise betroffen.

Keine Gefahr drohten demnach Deutschland sowie Westeuropa. Zum einen lagert ausreichend Gas in eigenen Speichern, zudem besitzt die Region Schaltstellen zur gegenseitigen Belieferung auch aus anderen Quellen. Zentral- und Westeuropa wird nämlich auch über die Ostseepipeline Nordstream sowie durch den weißrussischen Transit versorgt. In beiden Fällen sind die Leitungskapazitäten nicht voll genutzt. Die Bundesregierung erklärte denn auch, dass sie für Deutschland keine Gaslieferengpässe fürchtet. EU-Kommissar Oettinger sieht das differenzierter und spricht von einem „Problem“ und einer „Gefahr“ für die Wintermonate, wenn die Ukraine ab sofort auf Gas in ihren Speichern zurückgreifen müsse. Je nachdem, wie sich die Ukraine verhalte, „hätten wir bei einem kalten Winter ein Problem“, sagte Oettinger. „Die nächsten Wochen werden kein Problem sein, da werden wir unsere Gasmengen bekommen.“