Der russische Präsident Putin und sein ukrainischer Kollege Poroschenko rufen zum Ende des Blutvergießens auf

Ouistreham. Es könnte der Durchbruch in der schwersten Krise seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sein. US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel haben die D-Day-Gedenkfeiern in der Normandie zu einer Vermittlungsoffensive in der Ukraine-Krise genutzt. Obama und Kremlchef Wladimir Putin trafen sich am Freitag am Rande der Feierlichkeiten zu einem kurzen Gespräch. Merkel sprach erstmals seit der Annexion der Krim im März dieses Jahres persönlich mit dem russischen Präsidenten.

Auch Putin und der neue ukrainische Staatschef Petro Poroschenko kamen erstmals in der Krise direkt zusammen – in Gegenwart von Merkel und Frankreichs Präsidenten François Hollande. Beide haben sich nach Kremlangaben für eine Waffenruhe in der Ost-Ukraine ausgesprochen. „Im Zuge eines kurzen Gesprächs haben sich Putin und Poroschenko für ein Ende des Blutvergießens im Südosten der Ukraine und auch für ein Ende der Kampfhandlungen auf beiden Seiten ausgesprochen“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. Putin und Poroschenko hätten betont, dass es keine Alternative zur Lösung der Krise mit „friedlichen politischen Mitteln“ gebe.

Auch Putin und Obama sprachen sich nach Kremlangaben für ein schnelles Ende der Gewalt in der Ost-Ukraine aus. „Obwohl das kein eigens angesetztes Treffen war, hatten die Staatsoberhäupter die Möglichkeit, ihre Meinungen über die Lage in der Ukraine auszutauschen – und auch über die Krise in der Ost-Ukraine“, sagte Peskow. Das Weiße Haus sprach lediglich von einem „informellen Gespräch“. Erstmals seit neun Monaten trafen sich Merkel und Putin wieder zu einem bilateralen Treffen. Merkel forderte Putin in dem gut einstündigen Gespräch auf, alles in seiner Macht stehende für eine Stabilisierung der Lage in der Ukraine zu tun. Bei dem Gespräch im Badeort Deauville sagte sie laut Bundesregierung, nach der international anerkannten Präsidentenwahl in der Ukraine müsse jetzt die Zeit genutzt werden, „um eine Stabilisierung der Lage insbesondere in der Ostukraine zu erreichen“. Russland müsse seiner großen Verantwortung dabei gerecht werden.

Zur Begrüßung hatten sich Merkel und Putin kurz die Hand gegeben, die Atmosphäre wirkte kühl. Beide saßen vor den Flaggen ihrer Länder an einem kleinen Tisch relativ weit voneinander entfernt. Merkel begegnete Putin mit ungewohnt ernst wirkendem Gesichtsausdruck, zeitweise mit demonstrativ hochgezogenen Augenbrauen. Putin setzte sich breitbeinig auf die andere Seite des Tischs, der ihn von Merkel trennte, und schaute ebenfalls demonstrativ zur Seite. Nach dem Treffen mit Putin nahm Merkel auf Einladung des französischen Präsidenten in Bénou-ville knapp 40 Kilometer westlich von Deauville an einem gemeinsamen Mittagessen der Staats- und Regierungschefs teil. In einem Beitrag für die französische Zeitung „Ouest France“ schrieb die Kanzlerin aus Anlass der Gedenkfeiern: „Frieden und Freiheit können schnell infrage gestellt werden. Der Konflikt in der Ukraine zeigt uns das. Die Sorge ist groß zu sehen, dass neue Gräben und Trennlinien entstehen.“ Die Anwesenheit eines hochrangigen deutschen Vertreters bei den D-Day-Feierlichkeiten war lange Zeit tabu. Als erster Bundeskanzler war 2004 der damalige SPD-Regierungschef Gerhard Schröder zu den Feiern in der Normandie.

Zwei Wochen nach seinem Sieg bei der Präsidentenwahl in der Ukraine soll der Milliardär Poroschenko, 48, an diesem Sonnabend in Kiew offiziell sein Amt antreten. Zu der Zeremonie werden internationale Gäste erwartet, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, US-Vizepräsident Joe Biden und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Poroschenko soll im Parlament – der Obersten Rada – zunächst den Amtseid ablegen. Im Anschluss ist eine Übernahme der Streitkräfte auf dem Sophienplatz im Stadtzentrum geplant. Angesichts der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten in den Gebieten Lugansk und Donezk erwarten Teile der neuen Führung, dass Poroschenko das Kriegsrecht in der Ost-Ukraine verhängen könnte. Der durch seine Süßwaren bekannte „Schoko-Zar“ hatte nach seiner Wahl am 25. Mai angekündigt, in dem Krisengebiet rasch für Ordnung zu sorgen. Auch die EU und die USA unterstützen die „Anti-Terror-Operation“ in der Ost-Ukraine. Russland dagegen hatte ein sofortiges Ende des mit Panzern und Kampfjets geführten Militäreinsatzes sowie den Dialog mit den prorussischen Kräften gefordert. Wegen anhaltender Spannung mit Kiew schickt Moskau zur Amtseinführung lediglich seinen Botschafter Michail Surabow.

Poroschenko sieht sich in der schwersten Krise der Ex-Sowjetrepublik vielen Herausforderungen gegenüber. Das Land steht vor dem Staatsbankrott und streitet mit Moskau über Milliardenschulden für nicht bezahltes russisches Gas. Die Streitkräfte liegen am Boden. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Probleme verschärfen sich. Poroschenko gehörte zu den Sponsoren der proeuropäischen Revolution in der Ukraine, die im Februar zum Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch führte. Der nach Russland geflohene Janukowitsch steht im Verdacht, die Krise in der Ukraine mit zu schüren. Nach seinem Sturz hatte sich Russland die zur Ukraine gehörende Schwarzmeerhalbinsel Krim einverleibt, um im Fall eines Nato-Beitritts Kiews seinen Stützpunkt der Schwarzmeerflotte nicht zu verlieren.

Zum ersten Mal seit der russischen Annexion der Krim reist Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kommende Woche nach Russland. In St. Petersburg trifft Steinmeier am Dienstag gemeinsam mit seinem polnischen Kollegen Radoslaw Sikorski den russischen Außenminister Sergej Lawrow, wie das Auswärtige Amt am Freitag mitteilte. Die Minister hatten das Dreiertreffen bereits am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Januar vereinbart – also vor Beginn des Konflikts auf der Krim und in der Ost-Ukraine. Steinmeier habe sich entschieden, die Reise anzutreten, um das Gespräch mit Russland zu suchen, sagte der Sprecher.