Gefangenenaustausch zwischen USA und Taliban: Fünf radikale Islamisten gegen den Soldaten Bowe Bergdahl

Washington/Kabul. Im ohrenbetäubenden Lärm des Helikopters behalf sich Bowe Bergdahl mit einer Notiz auf einem Pappteller: „SF?“ kritzelte der gerade von den Taliban freigelassene US-Soldat darauf und hielt es seinen Rettern hin. Special Forces? „Ja“, brüllten die über das Donnern der Rotoren auf dem Flug über Afghanistan ihrem Schützling zu: „Wir haben sehr lange nach dir gesucht.“ Da brach Bergdahl in Tränen aus.

So schilderten Vertreter des US-Verteidigungsministeriums die spektakuläre Freilassung des 28 Jahre alten Soldaten aus der Hand der radikalislamischen Aufständischen am Hindukusch. Für den jungen Mann und seine Eltern, aber auch für die US-Regierung geht damit ein fünfjähriger Nervenkrieg zu Ende: Der einzige US-Soldat in der Hand der Taliban ist frei. Allerdings sorgten die Umstände für Irritationen.

Denn US-Präsident Barack Obama hatte nicht nur monatelang im Geheimen mit den radikalislamischen Aufständischen verhandeln lassen, während diese mit dem Abzug der internationalen Truppen Schritt für Schritt in Afghanistan wieder erstarken. Obama ließ sich letztlich auch auf einen Deal ein: Für Bergdahl kamen fünf ranghohe Taliban aus dem US-Lager Guantánamo frei. Die Männer sollen nun mindestens ein Jahr im Emirat Katar bleiben. Aber wie geht es danach mit den einst führenden Köpfen der Taliban weiter, die seit mehr als einem Dutzend Jahren in Kuba in Ketten lagen?

Die Republikaner, die den demokratischen Präsidenten wegen dessen Außenpolitik ohnehin bei jeder Gelegenheit anfeinden und einstige amerikanische Größe schwinden sehen, machten ihrer Empörung Luft. Der Abgeordnete Howard McKeon und Senator James Inhofe nannten den Ablauf der Freilassung illegal. Die US-Regierung wäre gesetzlich verpflichtet gewesen, den Kongress 30 Tage vor der Verlegung von Insassen aus Guantánamo zu informieren. Zudem hätte sie erklären müssen, wie sie der Bedrohung durch die Terrorverdächtigen begegne, erklärten die beiden Republikaner.

Laut inoffiziellen Informationen handelt es sich bei den Freigelassenen um Mohammad Nabi Omari, „einen der bedeutendsten Taliban-Führer in Gefangenschaft“, der enge Kontakte zu al-Qaida und der radikalen Haqqani-Gruppe pflegte. Nicht minder einflussreich soll Mullah Norullah Noori unter den Taliban gewesen sein. Noori und Mullah Mohammad Fasl, einst Vize-Verteidigungsminister der Taliban-Regierung, sollen Truppen kommandiert haben, die Tausende Angehörige der schiitischen Minderheit in Afghanistan töteten. Abdul Haq Wasiq soll ein führender Geheimdienstoffizier der Taliban gewesen sein; der frühere Innenminister und Provinzgouverneur Kirullah Said Wali Khairkhwa ist der fünfte Gefangene, der nun „mit seiner Familie in Katar“ leben wird, wie ein Statement der Taliban lautet.

Dem Weißen Haus blieb nur das Eingeständnis, dass gesetzliche Auflagen nicht erfüllt worden seien. Doch habe es dafür „einzigartige und zwingende Umstände“ gegeben. Bergdahl sei in Lebensgefahr gewesen, man habe ihn schnell retten müssen, sagte Verteidigungsminister Chuck Hagel. Nur eine Handvoll Personen hätte von der Aktion gewusst. „Wir konnten uns kein Informationsleck leisten, aus offensichtlichen Gründen“, sagte Hagel. Obama informierte Bergdahls Eltern persönlich am Telefon über die Freilassung. Sie traten später gemeinsam mit dem Präsidenten im Weißen Haus vor die Presse, zeigten sich „glücklich und erleichtert“ über die Freilassung. „Wir werden für Bowe stark bleiben, während er sich erholt“, sagte Mutter Jani Bergdahl.

Wie es Bowe Bergdahl nach fünf Jahren Gefangenschaft genau geht, ist nicht klar. Er war Ende Juni 2009 in der Nähe eines US-Militärstützpunktes nahe der Grenze zu Pakistan verschwunden. Nun hieß es, Bergdahl habe bei der Übergabe an die US-Spezialkräfte laufen können. Notwendig ist eine längere medizinische Behandlung, seit Sonntag ist Bergdahl im US-Militärhospital in Landstuhl (Pfalz).

Was danach noch auf Bergdahl zukommen könnte, ist ebenfalls ungewiss. Denn die Umstände, wie er in Gefangenschaft geriet, geben Rätsel auf. Es gibt Spekulationen, dass er sich aus freien Stücken von seiner Einheit entfernt haben könnte – was ihm ein Verfahren wegen Fahnenflucht einbringen könnte. 2012 hatte das Magazin „Rolling Stone“ Mails zitiert, die Bergdahl an seine Eltern geschrieben haben soll. Darin soll er sich desillusioniert über die US-Mission in Afghanistan geäußert und Fahnenflucht als Option genannt haben. Falls die Armee Bergdahl anklagen sollte, würde ihm eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren und eine unehrenhafte Entlassung drohen. Eine Entscheidung, ob Anklage erhoben werde, sei noch nicht gefallen, sagte ein US-Beamter. Im Moment herrsche das Gefühl vor, dass Bergdahl genug gelitten habe.