Front National ist erstmals stärkste Kraft. Sozialisten von Präsident Hollande stürzen ab.

Paris. Es ist ein politisches Erdbeben: Der rechtsextreme Front National ist erstmals bei einer landesweiten Wahl in Frankreich stärkste Kraft geworden. Prognosen der großen Meinungsforschungsinstitute zufolge erreichte die Partei von Marine Le Pen bei der Europawahl rund 25 Prozent der Wählerstimmen. Die regierenden Sozialisten von Präsident François Hollande erlitten eine weitere verheerende Schlappe und kamen mit rund 14 Prozent nur auf den dritten Platz hinter der konservativen UMP (21 Prozent). Le Pen forderte als Konsequenz aus dem Wahlergebnis die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Die Sozialisten hatten bereits bei der Kommunalwahl im März starke Verluste hinnehmen müssen. Daraufhin hatte Hollande die Regierung ausgetauscht.

Le Pen, die die Parteiführung 2011 von ihrem Vater, Jean-Marie Le Pen, übernommen hatte, sagte, Hollande bleibe nach einer derartig deutlichen Abweisung durch die Wähler nichts anderes übrig, als das Parlament aufzulösen. „Es ist nicht akzeptabel, dass die Nationalversammlung das Volk so unrepräsentativ vertritt“, sagte sie.

Die Parteien des bürgerlichen und linken Spektrums reagierten schockiert auf den Wahlerfolg der Rechtsaußen-Partei. Außenminister Laurent Fabius räumte ein „Erdbeben“ ein, wies die Forderung nach Auflösung des Parlaments aber zurück. Die aus dem Senegal stammende frühere konservative Ministerin Rama Yade sprach von einer „Katastrophe für die Demokratie“. Umweltministerin Ségolène Royal – die langjährige Lebensgefährtin Hollandes – ging auf Distanz zum Präsidenten: Das Ergebnis der Wahl zeige die Ungeduld der Wähler, die endlich Ergebnisse sehen wollten, sagte sie mit Blick auf die eingeleiteten Wirtschaftsreformen. Eine Neubelebung der Wirtschaft in Europas zweitgrößter Volkswirtschaft sei dringend nötig, mahnte Royal.

Frankreich kämpft mit einer Wirtschaftskrise und einer Rekordarbeitslosigkeit. Hollande ist Umfragen zufolge der unbeliebteste Präsident in der Geschichte des Landes. Er hat es bislang trotz eingeleiteter Wirtschaftsreformen nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Die EU-Kommission rechnet für dieses Jahr mit einer weiter steigenden Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 10,4 Prozent – mehr doppelt so viel wie in Deutschland.

Auch in Griechenland erhielt eine brüsselfeindliche Partei die meiste Zustimmung: Die Linksallianz Syriza kam laut Prognose auf 26 bis 28 Prozent der Stimmen. Damit lag sie vor der konservativen Nea Dimokratia (ND) von Regierungschef Antonis Samaras (23 bis 25 Prozent). Mit bis zu zehn Prozent wurde die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte drittstärkste Kraft. In Österreich konnte die rechtspopulistische FPÖ ihren Stimmenanteil deutlich ausbauen. Dem vorläufigen Ergebnis zufolge kamen die Freiheitlichen auf 20,5 Prozent, knapp acht Punkte mehr als 2009. In Polen schaffte eine EU-feindliche Partei den Einzug ins Europaparlament. Der Kongress der Neuen Rechten erhielt laut Prognose 7,2 Prozent der Stimmen und schickt vier Abgeordnete ins neue Parlament. In den Niederlanden erlitt die EU-feindliche Freiheitspartei PVV von Geert Wilders dagegen deutliche Stimmenverluste.