Die EU regiert tief in unseren Alltag hinein. Viele der Regeln sind durchaus sinnvoll – doch so manche Vorschrift ist einfach bizarr

Brüssel. Vor der Europawahl tauchen wieder die alten Parolen auf. Die wohlbekannten Versprechen, endlich gegen die ausufernde Brüsseler Bürokratie vorzugehen. Weit mehr als 50.000 Seiten dick ist das Gesetzbuch der EU, ein Gestrüpp aus Gesetzen, Vorschriften und Detailregelungen. Und jedes Jahr kommt mehr hinzu. Aber längst nicht jede Idee für ein neues Gesetz kommt von den EU-Beamten. Oft sind es Regierungen aus Mitgliedsländern, die Druck machen. Sehr häufig drängt aber auch die Wirtschaft auf neue Gesetze.

Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Monatelang drängte das deutsche Friseurhandwerk 2013 die EU-Kommission, die Lautstärke eines Föns und die Art der Fußböden im Salon vorzuschreiben, aber auch, wie der EU-Beauftragte für Bürokratieabbau, Edmund Stoiber, es ausdrückte, „Stöckelschuhe für Friseurinnen“ zu verbieten. „Die Verhinderung der Umsetzung des Abkommens in Brüssel als europäische Richtlinie ist somit unterlassene Hilfeleistung für die eine Million Friseure und Friseurinnen in Europa“, schrieb der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks im November an Stoiber. Bisher hatten die Friseure keinen Erfolg.

Hier nun die verrücktesten EU-Gesetze, die es bis in die Praxis geschafft haben: In der Richtlinie 2013/2/EU vom 7. Februar 2013 wird einheitlich geregelt, welche Produkte eigentlich als Verpackung gelten und damit extra entsorgt werden müssen. Eine spezielle Entsorgung führt in der Regel zu geringen Preiserhöhungen. Die Vorschriften sind nicht selten politische Kompromisse, deren Sinn und Praktikabilität dem Verbraucher nur schwer einleuchten. So legt diese Richtlinie fest, dass eine Toilettenpapierrolle, selbstverständlich nachdem das umgewickelte Papier verbraucht wurde, künftig als Verpackungsmüll in einem „Gelben Sack“ entsorgt werden muss. Das neue Gesetz schreibt auch vor, dass Kleiderbügel als Verpackung gelten – aber nur dann, wenn sie zusammen mit einem Kleidungsstück verkauft werden. Kleiderbügel, die getrennt von einem Kleidungsstück gekauft werden, sind dagegen keine Verpackung.

Nicht einfach zu durchschauen sind auch die Regeln zu den Kaffeekapseln. Kapseln, die mit dem verwendeten Kaffee entsorgt werden, gelten nicht als Verpackung – Kapseln, die nach Gebrauch leer sind, hingegen schon. Ein ähnliches Muster bei Backförmchen: Werden sie mit Backwerk verkauft, sind sie Verpackung, ohne Backwerk nicht.

In der Verordnung (EU) 97/2010 legt die Kommission fest, wie eine Pizza Napoletana aussehen und hergestellt werden muss: „Der Pizzabäcker schiebt die belegte Pizza mithilfe von etwas Mehl mit einer Drehbewegung auf einen Holz- oder Aluminiumschieber, dann lässt er sie mit einer schnellen Bewegung des Handgelenks auf die Ofensohle gleiten, ohne dass der Belag überschwappt.“ Und auch für den Belag gibt es klare Vorschriften: „Mit einer spiralförmigen Bewegung wird die Tomatenmasse auf der ganzen Innenfläche verteilt, mit einer spiralförmigen Bewegung wird Salz auf die Oberfläche der Tomaten gegeben.“

Die Arbeitsschutz-Richtlinie zu Vibrationen (RL 2002/44/EG) soll die Arbeitnehmer vor zu starken Erschütterungen, beispielsweise beim Bohren, schützen. So soll ein Ausbruch der „Weißfinger- oder Leichenfingerkrankheit“ verhindert werden, die sich durch geringe Durchblutung der Finger auszeichnet. Das kam bisher aber extrem selten vor und kann auch durch Kälte ausgelöst werden. Die Betriebe sind jedenfalls angehalten, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen und „Vibrationskonten“ zu führen, auf denen Messdaten festgehalten werden.

Brüssel schreibt dem jeweiligen Arbeitnehmer also genau vor, wie viel Vibration sein darf: „Die Bewertung des Ausmaßes der Exposition für Hand-Arm-Vibration erfolgt nach dem Stand der Technik anhand der Berechnung des auf einen Bezugszeitraum von acht Stunden normierten Tagesexpositionswertes A (8); dieser wird ausgedrückt als Quadratwurzel aus der Summe der Quadrate (Gesamtwert) der Effektivwerte der frequenzbewerteten Beschleunigung in den drei orthogonalen Richtungen a (tief)hwx, a (tief)why; a(tief)hwz“. Alles klar!?