Mindestens fünf Tote bei schweren Kämpfen im Osten des Landes – Putin befiehlt Großmanöver im Grenzgebiet zum westlichen Nachbarstaat

Slowjansk/Moskau. Vermummte Kämpfer ukrainischer Regierungseinheiten rücken in der Ostukraine gegen prorussische Kräfte vor. Mindestens fünf Tote – „ausgelöschte Terroristen“, wie Kiew sie nennt – so lautet die Bilanz dieses blutigen Donnerstags in der von moskautreuen Aktivisten kontrollierten Stadt Slowjansk. Es sind die bisher schwersten Gewaltexzesse im Machtkonflikt in der Ex-Sowjetrepublik.

Auch das russische Staatsfernsehen zeigt sie in einem fort, Bilder wie aus einem Bürgerkrieg: Kampfhubschrauber über der Stadt, in Flammen stehende oder rußgeschwärzte Barrikaden aus Reifen, Rauchschwaden und bis an die Zähne bewaffnete Uniformierte. Lange dürfte sich Russlands Präsident Wladimir Putin das Chaos im russischsprachigen Osten der Ukraine nicht mehr ansehen. Es droht eine weitere Eskalation militärischer Gewalt. Bis zu 11.000 Mann soll der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow in Marsch gesetzt haben, um aufzuräumen in der Region.

Ein ernstes Verbrechen sei es, wenn eine nicht einmal gewählte Führung das Militär gegen das eigene Volk einsetze, sagt Putin bei einem Medienforum in St. Petersburg. Er hat immer wieder betont, dass die neuen Machthaber in Kiew nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch lieber den Dialog mit den prorussischen Kräften suchen sollten, um gemeinsam über die Zukunft des Landes zu sprechen. Er wirft ihnen aber inzwischen vor, völlig verrückt geworden zu sein, mit Kanonen und Panzern gegen friedliche Menschen vorzugehen.

Als Antwort, und zunächst wohl nur zur Abschreckung für Kiew, lässt Putin nun sein an der Grenze bereits seit Langem verstärktes Militär in Bewegung setzen. Noch nicht für einen Einsatz zum Schutz russischer Bürger, für die er seit März die parlamentarische Vollmacht hat, sondern übungsweise als Großmanöver. Bei der Militärübung mit Übungsflügen sollten sich russische Streitkräfte einen Überblick verschaffen über die Lage im Grenzgebiet, sagt Verteidigungsminister Sergej Schoigu. „Wir sind gezwungen, auf eine derartige Entwicklung der Lage zu reagieren.“ Und er fordert von Kiew, die „Kriegsmaschine“ zu stoppen, sonst werde es viele Tote und Verletzte geben.

Schoigu sagte, die russischen Manöver seien auch eine Antwort auf Nato-Aktivitäten an der Grenze zu Russland. In Polen war am Mittwoch das erste Kontingent von 600 US-Soldaten angekommen, die Teil der US-Strategie sind, um die osteuropäischen Staaten zu beruhigen. Die ehemaligen Sowjetrepubliken fürchten russische Interventionen, nachdem die Krim von der Ukraine abgespalten und in die russische Föderation aufgenommen wurde.

Die prorussischen Kräfte warnen nun stärker denn je vor einem Bürgerkrieg. Der „Volksbürgermeister“ der Stadt Slowjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, droht den Angreifern im Interview des russischen Staatsfernsehens: „Wir bereiten ihnen ein zweites Stalingrad.“ Die „Selbstverteidigungskräfte“ wollten weiter um ihre Autonomierechte kämpfen, betont auch deren Sprecher Miroslaw Rudenko in Donezk.

Mit dem massiven Militäreinsatz will Kiews Regierung die Lage einen Monat vor der Präsidentenwahl stabilisieren. In den Städten im Raum Donezk und Lugansk hätten „Verbrecher“ öffentliche Gebäude besetzt, Menschen umgebracht und gefoltert und Geiseln genommen, heißt es zur Rechtfertigung. Die verängstigte Bevölkerung müsse endlich befreit werden von diesen Belagerern, sagt ein Geheimdienstmitarbeiter in Kiew. Es werde alles getan, damit Kinder bald wieder zur Schule gehen, Behörden und Unternehmen wieder ihre Arbeit aufnehmen könnten.

Putin verurteilte den Einsatz der ukrainischen Armee, der „Folgen“ für die Regierung in Kiew haben werde. Der Kremlchef bezeichnete die dort im Februar durch den Sturz von Janukowitsch an die Macht gekommene Führung als „Junta“ und „Bande“. Putin hatte sich im März eine parlamentarische Vollmacht für einen Militäreinsatz zum Schutz russischer Bürger in der gesamten Ukraine geben lassen – vor dem Hintergrund des Anschlusses der Halbinsel Krim an Russland. Russland rief trotz der Gewalt zu „ernsthaften Verhandlungen“ aller Seiten auf. Außenminister Sergej Lawrow sagte, die Ukraine müsse als blockfreier Staat zum Bindeglied zwischen Russland und Westeuropa werden. Von den USA verlangt Russland, die Ukraine zu einem Stopp der Offensive gegen Separatisten im Osten des Landes zu zwingen. Man zähle darauf, dass die USA im Interesse der Deeskalation sofort Maßnahmen ergreife, erklärte das russische Außenministerium am Donnerstagabend.

US-Präsident Barack Obama sagte während seines Besuchs in Tokio, die USA bemühten sich weiter um eine diplomatische Lösung. Er schloss aber neue Sanktionen gegen Russland nicht aus, wenn der Genfer Friedensplan vom 17. April nicht die versprochenen Ergebnisse bringe. „Soweit wir das überschauen können, haben wir nicht festgestellt, dass sie sich an den Geist der Genfer Vereinbarungen halten“, sagte Obama. Nach dem Abkommen zwischen Russland, den USA sowie der EU und der Ukraine müssen alle paramilitärischen Gruppen ihre Waffen abgeben und besetzte Gebäude räumen. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Konfliktparteien zur Zurückhaltung gemahnt. Ban sei „zutiefst besorgt“, dass die Krise „außer Kontrolle“ geraten und zu „nicht vorherzusehenden Konsequenzen“ führen könnte, erklärte sein Sprecher Stéphane Dujarric.

Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise versicherten Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege Laurent Fabius der georgischen Regierung bei einem Besuch in Tiflis, man stehe solidarisch zu Georgien. Bis Ende Juni solle ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet werden. Georgien hatte 2008 einen Krieg gegen Russland um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien geführt.

Die Bundesregierung genehmigt derzeit keine Rüstungsexporte nach Russland mehr. 69 Ausfuhranträge mit einem Gesamtwert von 5,18 Millionen Euro liegen auf Eis. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Grünen-Anfrage hervor.